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Delta Airlines ist zurück: Der Markt mit den Flugverbindungen in die USA wächst

New York City und Berlin rücken enger zusammen. Mit Delta Airlines kehrt eine Fluggesellschaft nach Tegel zurück, die neben Air Berlin und United Airlines eine weitere Direktverbindung in den Big Apple anbietet.

Von Frank Wagner

Es ist Freitag, 10:46 Uhr, die Sonne scheint, das Thermometer zeigt angenehme 22 Grad. Am Flughafen Tegel setzt erstmals seit 2011 wieder eine Maschine der amerikanischen Fluggesellschaft Delta Air Lines auf. Die Boeing 767-300, die gut acht Stunden zuvor am New Yorker Flughafen John F. Kennedy gestartet ist, landet 14 Minuten zu früh in Tegel. Mit ihrem Erstflug will Delta in den Wettbewerb um Urlauber und Businesskunden mit Berlin-Bezug auf beiden Seiten des Atlantiks einsteigen. Der Markt der Flugverbindungen in die USA und auch von dort nach Berlin ist für die Airlines attraktiv: Laut einer Statistik von „VisitBerlin“, Berlins offizieller Marketing-Organisation, waren die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr mit über 1,1 Millionen Besuchern der drittgrößte Kernmarkt für Berlin. Die Besucherzahl für 2016 ist damit um 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. „Berlin wird bei den Amerikanern ein immer beliebteres Reiseziel“, erklärt Kent Logsdon, Gesandter der Botschaft der Vereinigen Staaten in Berlin, und fährt fort: „Berlin ist auch ein wachsender Technologie-Knotenpunkt. Die neue Flugverbindung wird daher hoffentlich auch die sich entwickelnde New York-Berlin-Verbindung zwischen Unternehmern und Wagniskapitalgebern weiter verbessern“.

Mit Blick auf die deutschen Touristen betont Logsdon bei den Feierlichkeiten zum Erstflug, dass die USA und insbesondere New York schon lange ein beliebtes Ziel für Menschen aus Berlin seien. Die aus- und einreisenden Touristen seien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für beide Länder und brächten wichtige Abstrahleffekte hinsichtlich Profiten und Jobs: „Wir gehen davon aus, dass jeweils 40 Touristen aus Deutschland etwa einem Job in den USA entsprechen“, so der Gesandte. Im Jahre 2015 konnten die USA einen Rekord von 2,3 Millionen Besuchern aus Deutschland verzeichnen, eine Steigerungsrate von zehn Prozent – und das sechste Wachstumsjahr in Folge.

Wettbewerber United und Air Berlin

Um die Attraktivität der Berlin-USA-Verbindungen weiß man auch bei United Airlines, deren Maschine jeden Morgen um 9:40 Uhr nach New York, genauer gesagt zum Flughafen Newark im benachbarten New Jersey, aufbricht. Die US-Fluggesellschaft teilte sich die Gäste auf der Strecke bislang nur mit Air Berlin. Das Berliner Unternehmen flog dabei stets den Flughafen JFK an, zuletzt sogar zweimal pro Tag. Fast zeitgleich mit der Rückkehr von Delta Air Lines reduzierten die Berliner ihr Engagement jedoch auf eine Verbindung pro Tag.

Trotz der beiden Wettbewerber in Tegel rechnet Delta sich gute Marktchancen aus, wie Nat Pieper, der als Senior Vice President Alliances (zu deutsch: „Ressortleiter Allianzen“) für die Airline tätig ist, erklärt: „Zunächst einmal haben wir einen hervorragenden Hub, also ein starkes Drehkreuz am Flughafen JFK, das noch viel stärker als vor fünf Jahren ist“. Darüber bringt die Airline Reisende nahtloser als je zuvor zu ihren Anschlussflügen. Berliner Fluggäste können so zügig in New York umsteigen, um dann mehr als 60 bequeme Umsteigeverbindungen nach Nordamerika, Lateinamerika und in die Karibik zu nutzen. Zu den Top-Anschlussverbindungen für Reisende aus Berlin zählen Chicago, Miami, Los Angeles, San Francisco und Toronto. Um ein besonders bequemes und angenehmes Flughafenerlebnis zu ermöglichen, hat Delta 1,4 Milliarden US-Dollar in den Flughafen JFK investiert. Das Ergebnis ist unter anderem ein hochmodernes Terminal 4, das seit Januar 2015 mit insgesamt 27 Flugsteigen, zahlreichen Schaltern und Check-In-Automaten für den schnellen Umstieg sowie beliebten Geschäften und Restaurants aufwartet.

Eine schnelle Umsteigemöglichkeit ist eminent wichtig, um auch mit Blick auf die Wettbewerber attraktiv zu sein. Air Berlin fliegt zwar nicht die genannten 60 Ziele des Konkurrenten Delta an. Dafür bietet die deutsche Airline allerdings fünfmal pro Woche Direktflüge von Tegel nach Miami. Zudem sind die Destinationen San Francisco und L.A. seit Mai dreimal bzw. viermal pro Woche als Nonstop-Verbindung im Programm. Und Chicago, der zweitgrößte US-amerikanische Flughafen, wird fünfmal in der Woche direkt von Air Berlin angeflogen.

Zuverlässigkeitsrekord bei Delta

Das gut funktionierende Delta-Drehkreuz am Flughafen JFK und auch die soliden Partnerschaften mit Air France und KLM sind nicht die einzigen Unterscheidungsmerkmale zu manchen Wettbewerbern, die Reisende bei der Auswahl ihres Carriers in Betracht ziehen dürften. Einen wichtigen Bestandteil des Services bei Delta stellt daher auch die Verlässlichkeit der Flugverbindungen dar.

Verspätungen und Ausfälle sind bekanntermaßen immer ein großes Ärgernis für Urlauber und Städtereisende. In ganz besonderer Weise gilt dies jedoch für Businessgäste: Wer einen engen Zeitplan hat und ein wichtiges Meeting wegen eines gecancelten Fluges verpasst, läuft Gefahr, viel Geld oder gar ganze Projekte zu verlieren. Daher legen Geschäftsreisende regelmäßig gesteigerten Wert auf eine hohe Zuverlässigkeit. Und hier kann Delta Air Lines mit einem Rekordwert punkten: „An mehr als 200 Tagen gab es gemessen an den letzten 365 Tagen keine einzige Flugstornierung innerhalb der gesamten Airline“, erklärt SVP Pieper. Der Wert datiert vom Jahresende 2016 und stellt eine Leistung dar, die keine andere Airline erreicht hat. Verlässlichkeit ist den Unternehmenslenkern wichtig. Pieper: „Wir haben eine Menge Geld in die Pünktlichkeit unserer Flugzeuge investiert“.  Delta fliegt mit 800 Flugzeugen 323 Destinationen in 59 Ländern an.
In Großbritannien hat die Fluggesellschaft unlängst den Preis für die beste Airline für Business-Reisende gewonnen, in den USA bekommt sie seit vielen Jahren regelmäßig den „Business Traveller Award“

Für die Gäste der Business Class, die bei der amerikanischen Fluggesellschaft mit dem Begriff „Delta One“ bezeichnet wird, präsentiert Nat Pieper auf der Pressekonferenz in Tegel eine spezielle „launch fare“, ein Einführungsangebot. Konkret bedeutet dies, dass der New-York-Flug in der Business Class seiner Airline bereits für unter 1.300 Euro zu haben ist. Üblicherweise sind für diese Klasse bei nahezu allen Wettbewerbern mindestens rund 2.000 Euro fällig, teilweise sogar mehr als das Doppelte dieser Summe.

Insgesamt ist der Anteil Geschäftsreisender zwar sehr wichtig für die Fluggesellschaft, doch gerade im Sommer spielen auch die Urlaubsgäste und Familien eine entscheidende Rolle. Um die neue Route profitabel zu betreiben, braucht die Fluggesellschaft beide Gruppen. Sowohl die Businessgäste, die pro Kopf mehr Geld einbringen, als auch die Economy Reisenden, die deutlich weniger für ihr Ticket zahlen müssen.

Berlins Wirtschaft profitiert

Beim Delta-Erstflug in Tegel ebenfalls vor Ort ist Burkhard Kieker, Geschäftsführer von VisitBerlin. Er lobt die wirtschaftliche Relevanz der neuen Verbindung: „Jeder Interkontinentalflug hat eine große wirtschaftliche Bedeutung, er zieht hunderte Arbeitsplätze nach sich und hilft natürlich, die Berliner Wirtschaft international noch besser zu verbinden“, so Kieker. „Früher mussten wir die Airlines überzeugen, nach Berlin zu fliegen, inzwischen kommen sie von selber und so muss es auch sein.“ Kieker rechnet mit einem langfristigen Engagement von Delta, das über den Flugplan der Sommersaison hinausgehen dürfte. Der Markt habe sich inzwischen verändert: „Neben dem touristischen Markt haben wir eben auch verstärkt Geschäftsreiseverkehr aus dem Start-up Bereich, aus dem produzierenden Gewerbe und auch seitens der politischen Amtsträger. Das wird helfen und ich bin sicher, dass Delta schon bald das ganze Jahr über durchfliegen wird“.

Die Boeing 767 der Delta Air Lines hat an diesem Freitagmorgen mittlerweile ihre Wassertaufe durch die beiden links und rechts der Maschine postierten Fahrzeuge der Flughafenfeuerwehr überstanden und ihre Parkposition am Gate A 01 erreicht. In knapp zwei Stunden geht es zurück nach New York.

36. Evangelischer Kirchentag in Berlin: Christliche Werte, Bibelarbeit und Barack Obama

Vom 24. bis 28. Mai wird Berlin zum zentralen Ort der Christinnen und Christen in Deutschland. Dann findet hier der 36. Evangelische Kirchentag statt, zu dem mehrere hunderttausend Gäste erwartet werden.

Von Frank M. Wagner

Es ist eine Großveranstaltung, die ihresgleichen sucht und sogar die Dimensionen des Papstbesuches 2011 in Berlin übertreffen dürfte:  Fünf Tage lang werden über 100.000 Dauerteilnehmer und weitere 15.000 Tagesgäste den  36. Evangelischen Kirchentag besuchen. Dem Motto des Treffens dürften die Besucher daher alle Ehre machen, es lautet „Du siehst mich“. Mit der alttestamentlichen Losung begegnet die evangelische Kirche der Sehnsucht vieler Menschen danach, gesehen und angenommen zu werden. Insgesamt sind rund 2.100 Veranstaltungen sind geplant, darunter Bibelarbeit, Konzerte, Diskussionsrunden oder auch das gemeinsame Singen neuer Kirchentagslieder. Die meisten Programmpunkte können die Teilnehmer in Berlin wahrnehmen. So findet beispielsweise der Eröffnungsgottesdienst am Abend vor dem Himmelfahrtstag, also dem 24. Mai, auf dem Platz der Republik am Reichstag statt. Hier wird unter anderem Bundestagspräsident Norbert Lammert vor Ort dabei sein. Parallel gibt es zwei weitere Gottesdienste in der Stadt: einen international und ökumenisch geprägten vor dem Brandenburger Tor und einen weiteren für Groß und Klein am Gendarmenmarkt. Allein für diese drei Veranstaltungen rechnen die Initiatoren mit 140.000 Besuchern. Im Anschluss an die Gottesdienste folgt rings um deren Orte das Straßenfest „Abend der Begegnung“, zu dem bis zu 300.000 Menschen erwartet werden. „Es liegt eine erwartungsfrohe Spannung über der Stadt, die beim Abend der Begegnung in den Straßen und Gassen vibriert“, sagt Sirkka Jendis, Pressesprecherin des Kirchentages und fährt fort: „Während der nächsten drei Tage wird sich die Kirchentagsgemeinde fröhlich, mitunter singend, in vollen Bussen und Bahnen drängen, sich routiniert den Weg von Messehalle 7.1 nach 10.3 bahnen und immer wieder stundenlang auf Papphockern sitzen.“

Die größte Feier des Christentreffens findet jedoch weder in den Berliner Messehallen noch im Regierungsviertel statt. Nein, passend zum 500-jährigen Reformationsjubiläum wird es am 28. Mai einen Festgottesdienst auf den Elbwiesen in Wittenberg geben. Ganz in der Nähe hatte Martin Luther im Oktober 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Schlosskirche genagelt. Zur Abschlussveranstaltung am Sonntagmittag wird auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Lutherstadt kommen. Über Berlin und Wittenberg hinaus finden von Donnerstag bis Samstag sechs weitere Kirchentage in acht Städten statt, die unter dem Motto „Kirchentag auf dem Weg“ stehen. Sie sind vor allem für Teilnehmer und Interessierte gedacht, die von weit her zum Festgottesdienst nach Wittenberg anreisen und zwischendurch Station machen wollen. Jede der Städte wie etwa Leipzig, Magdeburg, Erfurt oder Dessau-Rosslau feiert mit einem eigenen Programm 500 Jahre Reformation.

Viele Prominente

Der 36. Evangelische Kirchentag weist eine sehr hohe Prominentendichte auf. Dabei finden sich auf der Gästeliste durchaus nicht nur die Namen Lammert, Steinmeier und natürlich Merkel. Auch andere Spitzenpolitiker und Prominente sind vor Ort. So erscheinen etwa zur Bibelarbeit, die von Donnerstag bis Samstag  als konkurrenzloses Event jeweils von 9.30 bis 10.30 Uhr auf dem Programm steht, auch Katrin Göring-Eckhardt, Thomas de Maizière, Wolfgang Schäuble, Hannelore Kraft und Winfried Kretschmann. Sie werden ihre Interpretation ausgewählter Bibelstellen genauso vorstellen wie der Kabarettist Eckhart von Hirschhausen, Wise Guy Edzard „Eddi“ Hüneke, der Schriftsteller Bernhard Schlink oder die Bürgerrechtlerin und Autorin Freya Klier.

Barack Obama spricht

Die absolute Nummer eins der prominenten Gäste wird allerdings der ehemalige US-Präsident Barack H. Obama sein. Ein echter Weltstar, sieht man einmal vom eigentlichen Star der Veranstaltung, Jesus Christus ab. Auch wenn natürlich der Glaube und dessen Ausstrahlung auf das tägliche Handeln der Menschen im Mittelpunkt des Kirchentages stehen soll, dürfte der 55-jährige Ex-Präsident wohl viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und zum Publikumsmagneten avancieren. Am Vormittag des Himmelfahrtstages, also dem 25. Mai, wird Obama am Brandenburger Tor auftreten. Dort will er mit Bundeskanzlerin Merkel über das Thema „Engagiert Demokratie gestalten“ diskutieren.

Obama ist Protestant, hat in der Kirche „Trinity United Church of Christ“ (UCC) in Chicago geheiratet und seine beiden Töchter dort taufen lassen. Als Präsidentschaftskandidat trat er 2008 aus dieser Kirche aus und distanzierte sich damit von seinem Pastor Jeremiah Wright. Dessen wiederholte Hasstiraden hatte er zuvor als „aufhetzerisch und erschreckend“ verurteilt. Seinen Glauben gab Obama damit allerdings nicht auf. Im Gegenteil, er gründete einen Kreis bestehend aus fünf evangelischen Pastoren, mit denen er am Telefon betete, die Rolle der Religion in der Politik diskutierte oder sich Rat holte. Für ihn blieb der christliche Glaube daher stets eine wesentliche Basis, Leben und Politik zu gestalten sowie möglichst friedlich miteinander umzugehen.

Für die Macher des Kirchentags ist es ein echter Supercoup, den ehemaligen amerikanischen Präsidenten für das Christentreffen gewonnen zu haben. Der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Heinrich Bedford-Strohm hatte Obama im Mai 2016 zu einem Besuch nach Deutschland anlässlich des Reformationsjubiläums eingeladen. „Letztlich war die Einladung ein Zusammenspiel von EKD, Kirchentag, Kanzleramt und Auswärtigem Amt“, erklärt Pressesprecherin Sirkka Jendis. „Die Teilnahme von Präsident Barack Obama  am Kirchentag in Berlin auf einem gemeinsamen Podium mit der Bundeskanzlerin zum Auftakt des Reformationssommers unterstreicht wie international wir 500 Jahre Reformation feiern“, so Jendis. Sie betont, dass die christlichen Kirchen ein globales zivilgesellschaftliches Netzwerk von über zwei Milliarden Christinnen und Christen bildeten, das gestärkt durch die  feste Hoffnung auf eine bessere Welt sei. „Wer fromm ist, muss auch politisch sein“, bringt die Sprecherin den Zusammenhang von Kirchentag und Politik auf den Punkt.

Christliche Werten und Politik

In der Diskussionsrunde am Brandenburger Tor dürfte Obama auf die christlichen Werte als tragende und tragfähige Basis für Politik und Demokratie eingehen. Hier zeigt sich auch der Zusammenhang zwischen dem Kirchentag und der Politik beziehungsweise der Demokratie: Wer für Christliche Werte steht und versucht, diese entsprechend zu leben, transportiert damit auch sein Verständnis von Demokratie. Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au: „Ich bin gespannt, was er uns rät, wie wir Christinnen und Christen uns einbringen können, wie wir die Zivilgesellschaft angesichts der Umbrüche in der Welt stärken können. Wie er Mut machen kann und zwar konkret: Dass es wesentlich ist, sich für Demokratie einzusetzen und dafür, dass allen die gleiche Würde und die gleichen Rechte zukommen.“

Nicht nur für aktive Christen

Der fünftägige Kirchentag bedeutet Mitmachen. Die Teilnehmer suchen gemeinsam mit kompetenten und prominenten Referenten Antworten auf die Fragen der Zeit und der Gesellschaft: „‘Wie wird Frieden?‘ oder ‚Wie entwickelt sich weltweit die Flüchtlingslage‘?, gehört zu diesen Fragen, oder auch: ‚Wie begegnen wir politischen Stimmungen in unserem Land‘? „Aber genauso wird Flirten ein Thema sein, das Zusammenleben der Geschlechter diskutiert und überlegt, was es heißt, in der Großstadt zu leben“, sagt Sprecherin Jendis. Darüber hinaus wird es Konzerte mit Max Giesinger, Yvonne Catterfeld sowie die Uraufführung einer Sinfonie mit geflüchteten Musikern geben, daneben viele Ausstellungen und den großen „Markt der Möglichkeiten“, wo sich verschiedene Initiativen vorstellen und sich mit Gleichgesinnten vernetzen.

Die Tageskarte für den 36. Evangelischen Kirchentag kostet 33,- Euro (ermäßigt: 18,- Euro), die Abendkarte ab 16 Uhr nur 16,- Euro. Eine Dauerkarte für alle Tage liegt bei 98,- Euro (ermäßigt 54,- Euro), Die Familienkarte gilt für Eltern mit Kindern bis 25 Jahre (oder Großeltern und deren Enkel) und kostet 158,- Euro. Tickets gibt es unter www.kirchentag.de

Wirtschaftsboom und teilweise Vollbeschäftigung: „In Thüringen wird gerockt“ – meint Ministerpräsident Bodo Ramelow

Nach der Wende hat sich Thüringen wirtschaftlich gut entwickelt. Seit zweieinhalb Jahren regieren dort nun Die Linke, SPD und Grüne. Frank Wagner sprach mit Ministerpräsident Bodo Ramelow über die wirtschaftlichen Erfolge seines Landes und Rot-Rot-Grün als Vorbild für den Bund.

Herr Ministerpräsident, Ende April haben Sie im Rahmen der größten Industriemesse der Welt in Hannover noch einmal deutlich gemacht, wie es um die Wirtschaft ihres Landes Thüringen bestellt ist. Wie gut steht das Land da?

In puncto Arbeitslosigkeit ist Thüringen bei einer Größenordnung von rund 25 Prozent gestartet. Das heißt, jeder Vierte und damit mindestens einer in der Familie war arbeitslos. Inzwischen liegt die Quote bei aktuell 6,6 Prozent. Im Jahresdurchschnitt werden wir den Durchschnitt der Bundesrepublik Deutschland unterschreiten. Wir sind jetzt schon Platz Eins in den Neuen Ländern. Und in Südthüringen haben wir Arbeitsmarktzahlen mit einer Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent. Das ist Vollbeschäftigung. Wir haben Pendler aus dem Fränkischen, die ins Thüringische zur Arbeit fahren.

Vor 25 Jahren war das ja noch umgekehrt.

Damals sind Menschen jeden Morgen aus Eisenach mit dem Bus zu Neckermann nach Frankfurt gefahren. Heute gibt es kein Neckermann mehr, aber auch keinen Menschen mehr, der nach Frankfurt zur Arbeit fahren würde. Umgekehrt kommen jedoch Menschen aus Hessen zum Arbeiten nach Thüringen.

Das heißt Thüringen punktet inzwischen nicht mehr nur mit der Natur und diversen kulinarischen Köstlichkeiten, sondern vor allem mit der Industrie.

Jeder nimmt das Land zunächst einmal als das grüne Herz wahr, was wir auch sind. Wir haben einen riesigen Waldbestand mit einem geschlossenen Waldgebiet von 470.000 Hektar. Aber tatsächlich sind wir Industrieland. Wir definieren uns nach innen über Bratwurst oder unseren Kloß, aber in der Industrie sind wir mittlerweile ganz vorne dabei.

Was bedeutet das in Zahlen?

60 Firmen in Thüringen sind Weltmarktführer – und zwar kleine und mittelständische Betriebe. Wir haben keine Großkonzerne. Wir haben einen Dax-Betrieb, das ist Jenoptik. Das Land Thüringen hat eine Dichte von Industriearbeitsplätzen – in 1.000 Einwohnern gerechnet – mit der wir Platz 4 in Deutschland erreicht haben. Bezüglich der Dichte von Industriebetrieben sind wir auf Platz 1 in ganz Deutschland, auf 1.000 Einwohner gerechnet, man muss kleinere und größere Bundesländer in Relation betrachten. In Jena haben wir eine Forscherdichte, die einmalig in Deutschland ist. Das heißt auch, mit Jena oder Ilmenau haben wir Forschungseinrichtungen, die ganz vorne mitspielen. Deswegen sage ich: Thüringen, da steppt der Bär, da rockt es! Deswegen glaube ich: Wir müssen uns immer wieder klar machen, dass Thüringen der Westen des Ostens ist.

Welchen Anteil hat denn die rot-rot-grüne Landesregierung an diesem Erfolg des Landes Thüringen?

Erst einmal ist es so, dass die Wirtschaft den Anteil am Erfolg hat. Und viele Landesregierungen, alle vorherigen, haben die Rahmenbedingungen für diese Wirtschaftsentwicklung ermöglicht. Wir haben an der Wirtschaftspolitik überhaupt nichts geändert. Wir haben auch die Form, in der wir Akzente setzen, eher so organisiert, dass wir den kurzen Draht zu Unternehmen und Unternehmern halten. Auch der Ministerpräsident ist bekannt dafür. Also, meine Telefonnummer dürfte bei sehr vielen Unternehmen bekannt sein, um auch im Zweifelsfall mal über einen ganz kurzen Draht an Themen zu arbeiten, bei denen der kurze Draht hilft.

…und der kurze Draht bedeutet konkret was?

Das heißt: Kurze Wege bei Verwaltungsentscheidungen, gute Begleitung der Akteure, die alle dafür sorgen, dass diese Wirtschaft sich so entwickelt. Das bedeutet auch: keine ideologischen Debatten über den Eingriff von Politik in Wirtschaft, sondern umgekehrt: die Rahmenbedingungen für Stabilität herbeizuführen. Aber ehrlich gesagt, es gehört auch ein guter Draht zu den Gewerkschaften dazu. Denn Wirtschaft braucht auch immer den Ausgleich zu Arbeitnehmern, zu den Betriebsräten. Und ich lege schon Wert darauf, dass in allen Betrieben Betriebsräte stark in der Mitbestimmung dabei sind. Denn es gibt keinen besseren Garant für Erfolg, als einen offenen Prozess mit seinen Arbeitnehmern anzugehen, um so immer wieder nach besseren Zukunftschancen zu suchen.

Sie haben gesagt „keine ideologischen Debatten“. Wenn genau die unterblieben, könnte Rot-Rot-Grün ja gegebenenfalls auch auf Bundesebene regierungsfähig werden, so wie es bei Ihnen im Land Thüringen der Fall ist?

Erstmal ist es so, dass wir eine Landesregierung und in Landesthemen stark sind. Dann muss man erwähnen, dass wir die Chance hatten, eine Landesregierung zu bilden, weil die CDU, die 25 Jahre die Regierung geprägt hat, so am Ende war, dass die Wählerinnen und Wähler sie nicht mehr wollten. Insoweit ist also auch die Schwäche der CDU ein Mitgarant dafür, dass Rot-Rot-Grün entstehen  konnte. Und eine dritte Bemerkung: Im Bund müssen die Parteien, die ein rot-rot-grünes Bündnis schließen wollen, vorher über trennende Themen reden, auch über komplizierte Themen, wie Nato, wie Kriegseinsätze, Militärpolitik, Waffenexporte. Solche Themen muss man vorher klar und transparent besprechen: Was trennt die drei Parteien? Denn es geht mir nicht um eine Einheitspartei oder ein breites linkes Bündnis, abgekürzt „BreiLiBü“, das hilft überhaupt niemandem. Das, was wir brauchen, ist die klare Kante der drei Parteien.
Aber es gibt ein paar Themen, bei denen ich mir wünschen würde, dass diese drei Parteien sie stärken. Zum Beispiel die Mitbestimmung in den Betrieben. Oder dass die Frage der Lohnentwicklung so im Vordergrund steht, dass kein Mensch am Ende seines Lebens mehr in Armut leben muss, also unter Armutsbedingungen in Rentenabhängigkeit kommt, wo er dann wieder staatliches Geld in Anspruch nehmen muss. Da sind ein paar Themen nachzubearbeiten. Und meine Überzeugung ist auch, dass eine moderne Bürgerversicherung uns allen nützen würde. Also: Jeder zahlt ein, auch der Ministerpräsident, auch der Freiberufler, jeder zahlt von jeder Einkommensart ein, die er hat. Dann würde das Sozialversicherungssystem, das sich über alle Systeme, über alle Kriege, alle Krisen bewährt hat, wieder auf ein starkes Fundament gestellt, so dass wir die Spaltung der Gesellschaft deutlich überwinden könnten.

Wie realistisch ist es denn, dass die noch offenen Punkte zwischen SPD, Linken und Grünen auf Bundesebene geklärt werden können?

Ich will den Glauben daran und meine Hoffnung darauf immer wieder wiederholen. Am Ende müssen es ganz viele Akteure wollen und die drei Parteien zunächst einmal über eine eigene Mehrheit verfügen. Am Ende muss der Wähler entscheiden, ob er sich ein Votum vorstellen kann oder nicht. In diesem Sinne ist Thüringen ein Beispiel: Wir zeigen, dass es geht. Wir zeigen, dass das Land nicht zusammenbricht. Wir zeigen, dass die rot-rot-grüne Regierung nun inzwischen seit zweieinhalb Jahren die Geschicke unseres Landes steuert. Und wir können immer wieder darauf hinweisen, dass es funktioniert.

Wobei es ja in jüngster Zeit in Ihrem Land ein paar Probleme gibt. Damit meine ich nicht nur den Wechsel einer Landtagsabgeordneten von der SPD zur CDU sondern auch Spannungen innerhalb der Koalition, über die berichtet wird.

Wir arbeiten als Koalition entspannt zusammen. Ich lese und höre manchmal in Zeitungen, wo es bei uns Spannungen gebe. Ich bin dann immer ganz erstaunt, dass ich die nicht mitgekriegt habe. Wenn ich nicht Zeitung lesen würde, dann würde ich gar nicht mitbekommen, dass es sowas geben soll. Die Koalition hat sich zu  Eigen gemacht, dass drei Partner auf gleicher Augenhöhe ihre Prozesse debattieren und ins Kabinett kommt nur, was vorher schon vereint ist. Deswegen gibt es im Kabinett auch keinen Streit.

Zurück zum Bund: Haben wir denn überhaupt eine Wechselstimmung im Land, die dafür sorgen könnte, dass es ab dem 24. September einen Politikwechsel gibt?

Das sah mal so aus, dann sah es wieder nicht so aus. Ich hatte eine Zeit lang das Gefühl, dass Frau Merkel völlig unbeliebt wäre. Mittlerweile steigen ihre Beliebtheitswerte wieder an. Ich habe erlebt, dass nach der Nominierung von Martin Schulz der Schulz-Effekt als neue Erfindung aufkam. Und jetzt erlebe ich die Normalität.
Ich denke, als ich in Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, gab es keine Wechselstimmung, es gab nur einen Frust über die CDU. Und am Ende haben wir die Chance genutzt. Es wäre gut, wenn es nach der Bundestagswahl keine weitere Große Koalition gäbe. Und ich werde meinen Teil dazu tun und darum kämpfen, dass eine rot-rot-grüne-Option eine gute Alternative zu einer Großen Koalition ist, wo sich CDU und CSU gegenseitig bekämpfen, die SPD immer frustriert an die Seite geschoben wird (um sich dann bockig wieder zurück zu melden), und wo Frau Merkel am Ende dann immer wieder einen Formelkompromiss formuliert. Ich glaube, das hilft unserem Land nicht.

Ein letzter Test für die Bundestagswahl wird ja die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen sein. Ihre Prognose?

Ich erinnere mich an eine Wahl in 2005, da war NRW die Testwahl für den Bundestag, weil der damalige Bundeskanzler zurückgetreten ist, um dadurch Bundestagswahlen einzuleiten. Das Ergebnis war nicht gut für die Partei, die das Manöver gefahren hat. Deswegen sehe ich NRW nicht als Test für irgendetwas. Landtagswahlen sind Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl brauchen wir eine klare Ansage: Es gibt Alternativen zur Großen Koalition und dafür will ich werben.

„Ein Mensch, hinter dem man sich versammeln kann“

Als Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz gehört Malu Dreyer dem Parteivorstand der SPD an. Mit Frank M. Wagner sprach die 56-Jährige über die Aussichten ihrer Partei bei der Bundestagswahl im September und den Kanzlerkandidaten Martin Schulz.

Frau Ministerpräsidentin, bei seiner Wahl zum SPD-Parteivorsitzenden hat Martin Schulz einhundert Prozent der Delegierten für sich gewinnen können. Aber wie sieht es bei den Wählern der Republik aus, wie groß ist denn aktuell die Wechselstimmung im Land?

Die Demoskopen sagen ja schon, dass es tatsächlich eine Wechselstimmung gibt. Und das ist auch gut so, denn diese Wechselstimmung ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass man eine Wahl gewinnen kann, bei der wir letztendlich die Kanzlerin beziehungsweise die CDU herausfordern. Und mit dem Rückenwind von einhundert Prozent der Delegiertenstimmen, mit der total motivierten SPD und einem super Kanzlerkandidaten haben wir gute Chancen, dass wir das am Ende auch schaffen werden.

Nun hat Martin Schulz unter anderem der SPD im Saarland einen großen Popularitätszuwachs beschert: Schon die Umfragewerte kletterten binnen 3 Monaten von November bis März um plus 7 Prozent auf Seiten der SPD. In Nordrhein-Westfalen traten allein im Januar dieses Jahres 1.000 Menschen in die SPD ein, in Schleswig-Holstein liegt die SPD neuerdings in zehn von elf Wahlkreisen vorne. Die Bundestagswahl findet allerdings erst Ende September statt. Hält der Schulz-Effekt bis dahin an?

Ich bin sicher, dass dieser Trend weiter anhalten wird. Es ist ein bisschen so, als hätten Viele darauf gehofft, dass die SPD an ihrer Spitze einen Menschen hat, hinter dem man sich auch wieder versammeln kann. Die SPD ist eine Volkspartei, eine Partei mit ganz viel Tradition, es ist nur richtig, dass wir jetzt auf Augenhöhe mit der anderen großen Volkspartei in den Wahlkampf ziehen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass dies morgen nicht vorbei ist, ganz im Gegenteil.

Sie  haben die andere große Volkspartei erwähnt. Beispielsweise bei der Europapolitik und auch in der Flüchtlingsfrage haben die CDU beziehungsweise Angela Merkel ja mit Martin Schulz durchaus an einem Strang gezogen. Bei welchen Themen muss Schulz jetzt seine großen Schwerpunkte setzen, um sich von Merkel zu unterscheiden und die Wähler für sich zu gewinnen?

Martin Schulz hat ja schon ein paar Themen angesprochen, das Programm wird allerdings erst in den nächsten Wochen und Monaten ausgearbeitet. Aber ein wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht tatsächlich das Thema „Gerechtigkeit“. Es geht vor allem um Menschen, die eigentlich im Moment noch ganz gute Jobs haben, aber doch mit Abstiegsängsten zu tun haben. Und es geht darum, dass wir in diesem Zusammenhang dann auch nochmal das Arbeitslosengeld 1 verändern, das Schonvermögen verändern, einfach um den Menschen Sicherheit zu geben…

…nun kosten diese Vorhaben alle durchaus auch Geld, nicht zuletzt auch die Ausweitung des Arbeitslosengeldes 1 unter anderem auch für ältere Arbeitnehmer. Gilt hier der Grundsatz, dass die Bundesrepublik aktuell genug Geld hat, oder wie soll dies finanziert werden?

Das ALG 1 ist eigentlich keine Frage der Einnahmen, sondern das sind Versicherungsgelder. Zur Zeit sind 11 Milliarden vorhanden, und es ist auch nicht die große Menge von Menschen. Ich glaube, man muss Folgendes verstehen: Wenn man ein modernes Land ist, das von den Menschen Leistung abfordert – was wir ja tun – dann müssen wir den Menschen umgekehrt auch Sicherheit bieten, wenn sie lange im Job sind und dann plötzlich arbeitslos werden.

Welchen Themen werden für die Bundestagswahl sonst noch von besonderer Bedeutung sein?

Wichtig ist auch, dass wir die Bundesagentur wirklich verändern – hin zu mehr Qualifizierung der Menschen, die arbeitslos sind. Wir brauchen Fachkräfte für die Zukunft. Denn sie bedeuten Zukunft für Deutschland. Martin Schulz hat bei seiner Wahl zum Parteivorsitzenden aber auch deutlich gemacht, dass die SPD die Familienpartei ist. Wir wollen, dass auch junge Eltern wirklich gute Möglichkeiten haben, Beruf und Familie tatsächlich gut miteinander zu vereinbaren. Auch die gebührenfreie Bildung gehört zu den wichtigen Themen dazu. Weitere werden folgen.

Welche Bedeutung werden steuerliche Entlastungen im Bundestagswahlkampf der SPD haben?

Was uns natürlich insbesondere von der CDU unterscheidet, ist, dass wir nicht mit großen Steuergeschenken in den Wahlkampf ziehen wollen. Wir reden in ein paar Wochen auch noch über das Thema Steuern. Aber wir wollen vor allem investieren: In unser Land, in die Zukunft unseres Landes.  Das haben unsere Kinder auch wirklich verdient.

Die Bundesrepublik steht finanziell aktuell durchaus gut da. Da ist es also aus Ihrer Sicht der richtige beziehungsweise notwendige Schritt, jetzt mehr Investitionen vorzunehmen?

Natürlich, wir können es nicht auf Dauer ertragen, dass wir auch im Bereich der Investitionen eigentlich viel zu knapp sind. Es ist egal, ob es die Schulen sind, ob es Breitband ist, ob es gebührenfreie Kitas sind, ob es um das Leben der Menschen insgesamt geht. Wir müssen sicherstellen, dass wir auch wirklich überall ein Toplevel haben. Und dazu gibt es jetzt die Möglichkeit und deshalb sollen wir nicht allzu viele Steuergeschenke machen, sondern eher in die Zukunft investieren.

Lassen Sie uns zum Abschluss bitte ein wenig in die Zukunft blicken und die Chancen der SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz ausloten: Was schätzen Sie, wie geht die Bundestagswahl im September für Ihre Partei aus?

Prognosen kann man im Moment nicht machen. Aber ich bin ganz sicher, die SPD hat wirklich alle Aussichten um ganz, ganz stark aus der Bundestagswahl hervorzugehen. Unser Ziel ist es, dass Martin Schulz ins Kanzleramt kommt und das werden wir mit aller Kraft verfolgen.

„Wir hatten das Gefühl, mit unseren Themen richtig zu liegen“

Die CDU hat bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus nur magere 17,6 Prozent geholt. Woran hat’s gelegen? Spitzenkandidat Frank Henkel lässt den Wahlkampf im Interview mit Frank M. Wagner Revue passieren.

CDU-Landesvorsitzender und Spitzenkandidat: Innensenator Frank Henkel, (c) Foto: Frank M. Wagner
CDU-Landesvorsitzender und Spitzenkandidat: Innensenator Frank Henkel, (c) Foto: Frank M. Wagner

Herr Senator, Sie haben während des Wahlkampfes den früheren New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani getroffen, der in 1990er Jahren die US-Metropole vom Kopf auf die Füße gestellt und für Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit gesorgt hatte, die dort noch bis heute Bestand hat.

Ja, die Möglichkeit, mit dem legendären Rudolph Giuliani zusammenzukommen und die Möglichkeit gehabt zu haben, 20 Minuten lang mit ihm mal über Metropolen zu reden, darüber, was Metropolen ausmacht, wie sie funktionieren müssen etc, das war schon etwas Besonderes.

Und wie fiel Giulianis Meinung über Sie als Innensenator aus?

Giuliani hat sich sehr lobend über die Sicherheit und all das, was meine Arbeit betraf, geäußert. Aus seiner Sicht lautete das Fazit: „Alles richtig gemacht“.

Ich kenne New York aus der Zeit vor und auch nach Giuliani, das ist tatsächlich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Gerade auch, was saubere Straßen und die Sicherheit der Bürger angeht. Ist Giulianis Null-Toleranz-Konzept, das z.B. auch das Wegwerfen von Müll und Zigarettenresten betrifft, für Sie eine Option?

Ich kenne die Stadt auch aus der Zeit vor, während und nach Giuliani. Das, was als „Broken Windows“-Theorie von Giuliani umgesetzt wurde, hat New York auch insgesamt nach vorne gebracht.

Das bedeutet, dass man ein kaputtes Fenster sofort reparieren muss, da sonst noch mehr Scheiben zerstört werden und ein Stadtviertel dann langsam aber sicher verkommt. Wie hat Giuliani denn Berlin als Stadt beurteilt?

Ich fand es interessant, wie er von außen auf unsere Stadt geblickt hat: Er sagte, er beurteilt die Entwicklung einer Stadt zunächst einmal immer nach der Anzahl der Baukräne. Als er eingeflogen ist, hat er unsere Kräne gesehen und gesagt: „Es muss Berlin gut gehen“. Und dann betonte er die Dinge, die seiner Erfahrung nach für eine Stadt wichtig sind: „Die Stadt muss bezahlbar sein“, (das ist Berlin), die Stadt muss sich entwickeln, muss bauen“ (das tut Berlin) und: „die Stadt muss safe sein“ (das ist Berlin). Das fand ich spannend. Aus Giulianis Sicht war Berlin auch sauber. Da sage ich als Berliner aber: Naja, wir haben noch ein bisschen Potential nach oben.

Frank Henkel im Gespräch mit Wählerinnen, (c) Foto: Frank M. Wagner
Frank Henkel im Gespräch mit Wählerinnen, (c) Foto: Frank M. Wagner

Sie haben im Wahlkampf auf die innere Sicherheit gesetzt und insbesondere auf das Thema Bildung. Waren diese klassischen CDU-Themen auch die richtigen, mit denen man die Berliner erreichen kann?

Ja, diese Themen sind auch immer wieder Gegenstand meiner Gespräche auf der Straße gewesen. Menschen kamen zu mir, weil sie die Sorge hatten, dass für ihre Kinder in Berlin keine vernünftige Bildung angeboten wird. Also die Frage ist, schaffen wir es, die Vielfalt im Bildungssystem zu erhalten, schaffen wir es, das Gymnasium zu erhalten und auszubauen. Wir wachsen als Stadt, 40.000 Menschen sind in den letzten Jahren zu uns gekommen und zwar jedes Jahr. Darunter sind auch viele Familien, und die natürlich eine gute Bildung für ihre Kinder haben wollen. Das war immer wieder Gegenstand meiner Gespräche, konkret also etwa die Frage des Unterrichtsausfalls, des Lehrermangels oder des baulichen Zustandes von Schulen und Kindertagesstätten. Insofern lautet meine Antwort: Ja, das Thema Bildung ist etwas, das Leute in einer Großstadt wie Berlin unmittelbar betrifft.

Waren die Bürger beim Thema Sicherheit ähnlich stark interessiert?

Natürlich. Das Thema Sicherheit insgesamt hat ja viele Facetten. Es geht nicht nur um die Frage „mehr Polizei“, „mehr Feuerwehr“, „mehr Verfassungsschutz“. Das sind ganz wichtige Fragen, insbesondere vor dem Hintergrund der Herausforderungen wie der Alltagskriminalität, des islamistischen Terrorismus usw. Aber Sicherheit ist ja eine Medaille, die zwei Seiten hat und die wir auch beide immer verstanden haben: Dazu zählt auch die soziale Sicherheit, dass man hier sicher leben will und feiern will und auch sicher lernen will. Das Sicherheitsmotiv haben wir ja auch in unserer Kampagne abgebildet, weil ich der festen Überzeugung bin, dass Sicherheit ein Grundbedürfnis der Menschen ist. Und die Politik würde einen großen Fehler begehen, wenn sie dieses Grundbedürfnis der Menschen nicht ernstnehmen würde.

Sie hatte gerade vom „sicheren Feiern“ gesprochen, das ist ja insbesondere auch ein Thema für Friedrichshain-Kreuzberg.

Absolut.

Gerade in dem Bezirk sagt man allerdings nicht: Super, ich wähle Frank Henkel, dann kann ich endlich sicher feiern.

Ja, na sicher, für die Leute im Görlitzer Park bin ich natürlich der, der ihnen die Stimmung verhagelt. Das ist doch völlig klar. Auch die Leute am Kotti werden jetzt nicht sagen: „Mensch, toll“, sondern da ist jemand, der ihnen ebenfalls die Stimmung vermiest. Beim RAW-Gelände ist es so, dass wir viele erlebnishungrige junge Menschen überall aus der Republik, aber auch aus Europa und der Welt haben. Und die sind schon daran interessiert, dass sie sicher wieder nach Hause kommen oder von A nach B. Dementsprechend haben wir in der Vergangenheit als Polizei sehr viel Kraft aufgewandt, damit dies auch gewährleistet wird.

...bis zum 18. September die Roten fest im Griff: CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel, (c) Foto: Frank M. Wagner
…bis zum 18. September die „Roten“ fest im Griff: CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel, (c) Foto: Frank M. Wagner

In wie weit hat denn auch die Bundespolitik Ihren Wahlkampf mitbestimmt?

Ja, natürlich waren die Flüchtlinge ein wichtiges Thema im Wahlkampf und zwar in vielerlei Hinsicht. Es gab Menschen, die gesagt haben: „Wir schaffen das überhaupt nicht“, es gab Leute, die sagten: „Wie kann man nur“ und es gab Leute, die gar nicht verstanden haben, warum jetzt so viele Flüchtlinge bei uns sind. Und mit denen muss man eben reden und das habe ich getan. Im letzten Jahr sind ca. 80.000 Menschen als Flüchtlinge in unserer Stadt angekommen. Das ist eine Situation, die wir uns nicht ausgesucht haben, mit der wir aber umgehen müssen. Das bedeutet, dass wir sehen müssen, dass wir die Leute aus den Massenunterkünften rausholen, dass wir ihnen Sprachangebote machen, dass wir ihnen auch unsere Werte vermitteln, also klar machen, was eigentlich die Basis ist, bzw. der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau etwa oder die Werte des Grundgesetzes, die mitvermittelt werden müssen. Am Ende wird es auch darum gehen, dass man die Menschen über Praktika in Ausbildung und Arbeit bringt. Da gibt es gute Ansätze in Zusammenarbeit mit der Berliner Wirtschaft. Man muss den Menschen aber auch sagen: Ja, es ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe, dass man Menschen hilft, die vor Terror und Krieg flüchten. Es ist aber gleichermaßen so, dass man nicht allen Menschen auf der Welt eine neue Heimat in Berlin geben kann. Das wollen wir auch nicht und deswegen ist die andere Seite der Medaille die, dass man sich sehr darum bemüht, diejenigen Menschen, die hier keine Bleibeperspektive haben, auch wieder in ihre Heimatländer zurückzuführen.

Wie verärgert sind sie denn über das Wahlergebnis von 17,6 Prozent?

Ich bin nicht verärgert, aber natürlich bin ich enttäuscht. Das ist ja auch keine Frage, wenn man mehrere Wochen und Monate ganz hart und leidenschaftlich den Wahlkampf und viele Gespräche führt, wenn man auch das Gefühl hat, dass man mit den Themen bei den Berlinerinnen und Berlinern richtig liegt. Dann ist man vom Ergebnis der Wahl natürlich enttäuscht. Deshalb habe ich heute auch gesagt, dass es kein guter Tag für die Volksparteien hier in Berlin ist.

Ist das schlechte Ergebnis auch ein Stück weit auf die Bundespolitik von Angela Merkel zurückzuführen?

Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen. Das ist die Aussage, aber richtig ist auch, dass das eine oder andere an Rückenwind anders hätte ausfallen können. Ich glaube, dass es nichts hilft, wenn sich die Schwesterparteien auf offener Bühne streiten und das hat uns mit Sicherheit auch nicht gut getan.

Wie hat sich denn dieser Wahlkampf aus Ihrer Sicht von anderen unterschieden?

Er war zunächst einmal kürzer und was das politische Klima insgesamt betrifft, war er auch rauer: Wenn ich mir etwa das Maß zerstörter Wahlplakate anschaue oder sehe, dass man Kandidaten von uns das komplette Fahrzeug angezündet hat oder es auch körperliche Übergriffe gab. Das war, wie ich finde, schon ein bisschen anders als in den Jahren zuvor.

Gibt es etwas Besonderes, dass Ihnen von diesem Wahlkampf noch lange positiv in Erinnerung bleiben wird?

Ja, natürlich (lächelt), ich hatte ganz nette Gespräche mit Kindern. Ich habe eins heute noch sehr in Erinnerung. Da stellte sich ein ganz junges Mädchen hin und sagte: „Kann ich Dich mal was fragen?“ und ich meinte „Ja, natürlich!“, da fragte sie: „Bist Du für Umwelt oder dagegen? Bist Du für Autos oder gegen Autos? Bist du für‘s Fahrrad und gibt es bald mehr Spielplätze?“ Das war ein ganz niedliches Gespräch, ein Highlight, an das ich mich bestimmt auch später noch erinnern werde.

Erinnerung an TXL: „Den Fernseher lauter drehen!“

Die Reinickendorfer lieben Tegel – auch am Kurt-Schumacher-Platz: Ein Nachmittag an der wohl lautesten Einflugschneise des Flughafens fördert interessante Meinungen zu Tage. Sie nähren Zweifel an der Entscheidung, TXL zu schließen.

von Frank Wagner

„Entschuldigung, darf ich Sie mal fragen, wie Sie zur Schließung des Flughafens Tegel stehen?“ – „Waaas?“ ruft die etwa 50-jährige Dame, die mir auf dem Kurt-Schumacher-Platz entgegenkommt. Sie kann meine Frage nicht sofort verstehen, denn über uns donnert gerade die Drei-Uhr-Maschine der Air Berlin nach Düsseldorf hinweg. Der Airbus A 320 gehört zu den mittelgroßen und damit auch mittellauten Flugzeugen hier in der Einflugschneise am „Kutschi“ in Reinickendorf. Und eigentlich hätte er bereits vor 21 Minuten über das unter ihm liegende Einkaufszentrum „Der Clou“ hinwegfliegen sollen. Jetzt kommt die Dame endlich zu Wort: „Also mich stört es nicht“, gibt sie zu Protokoll. „Und wenn einer just in dem Moment des Überflugs eine Frage stellt, muss er sie halt zweimal stellen“, schmunzelt sie verschmitzt.

Weiter geht’s zum nächsten Passanten, einem wohlgekleideten Mann Mitte 40, mit kleinem Reisekoffer. Er wirkt ein wenig gehetzt: „Ich bin selbst gebürtiger Reinickendorfer und wohne jetzt Richtung Schönholz raus. Was mich an Tegel stört, ist die schlechte Anbindung, immer diese Umsteigerei von der Bahn in den Bus. Klappt so gut wie nie.“ An den Fluglärm habe er sich jedoch gewöhnt. „Das ist bei uns ja quasi auch die Verlängerung der Landebahn. Machst‘e den Fernseher dann halt mal lauter.“ Dann verabschiedet er sich schnell, denn er muss tatsächlich direkt zum Flughafen. Um 16:45 Uhr geht’s für ihn mit einem A 319 der Germanwings zu einem abendlichen Vortrag nach Köln. Ein Regenschauer setzt ein und macht eine weitere Befragung erstmal unmöglich.

Flugzeug über dem Reinickendorfer Kurt-Schumacher-Platz, eine der Einflugschneisen des TXL, (c) Foto: Frank M. Wagner
Flugzeug über dem Reinickendorfer Kurt-Schumacher-Platz, eine der Einflugschneisen des TXL, (c) Foto: Frank M. Wagner

„TraVis“ verrät, wie laut es ist

Zeit genug, um zu recherchieren, wie laut es hier eigentlich wirklich ist. Die Flughafengesellschaft FBB hat dazu ein eigenes Informationstool im Internet bereitgestellt: „TraVis“ (http://travistxl.topsonic.aero/). Die Webseite liefert die aktuellen Flugbewegungen und Fluglärmmessdaten mit nur wenigen Minuten Verzögerung. Dazu kann der Nutzer seinen Wohnort mit einem frei auf der Berlin-Karte positionierbaren Haus-Symbol genau auswählen und nachvollziehen, in welcher Höhe eine Maschine das eigene Haus überflogen hat,  wie groß die Entfernung des Hauses von der Grundfluglinie war und vor allem wieviel Dezibel Lärm das Flugzeug generiert hat. Darüber hinaus gibt es sogar noch eine Archivfunktion, die es ermöglicht, auch in der Vergangenheit liegende Lärmereignisse zu analysieren. Eine prima Spielerei mit ernsthaftem Hintergrund. Die zum Kurt-Schumacher-Platz offenbar nächstgelegene der insgesamt acht Dezibel-Messstationen steht in der Meteorstraße und zeigt etwa für den 12. Oktober um 13:20 Uhr einen maximalen Schalldruckpegel von satten 92,1 dB(A) an. Zu dieser Uhrzeit überflog der große Airbus A 330 von Air Berlin den „Kutschi“, um sich zu einer Interkontinentalreise über den Atlantik aufzumachen. Zum Vergleich: Ein Gespräch liegt bei 60db(A), Flüstern bei 30 db(A). Dieser Airbus ist also schon ganz schön laut. Aber dafür ist Berlin eben auch eine Weltstadt und nicht Leer in Ostfriesland. Und machen wir uns nichts vor: In Jamaica, dem Ortsteil des New Yorker Stadtteils Queens, in dem der A 330 morgen Abend seine Rückreise antritt, wird er auch nicht leiser starten als hier am Berliner Kurt-Schumacher-Platz. Andere Maschinen erreichen hier etwa 85,2 dB(A) oder sogar „nur“ 75,7 dB(A). Klingt nicht wirklich nach deutlich weniger Lärm. Ist es aber. Denn die Maßeinheit db(A) gibt einen logarithmischen Wert an, das heißt: Steigt der Schalldruckpegel um 10dB(A), bedeutet dies eine Verdoppelung der wahrgenommenen Lautstärke.

In Tegel gibt es keine Jumbojets

„Die größeren Maschinen sind aber die große Ausnahme in Tegel“, meint eine 70-jährige Dame, mit der ich spreche, als die Sonne wieder hinter den Wolken hervortritt. Sie hat recht: Insgesamt fliegen meist nur sechs größere Airbus A330-Maschinen  (oder das so genannte „Konkurrenzmuster“: eine  Boeing 767) pro Tag von Tegel nach New York, Chicago, Doha, Istanbul und Abu Dhabi, manchmal auch nach Peking. Der Rest sind kleinere Maschinen, im Wesentlichen Airbus 319 bis 321 und ein paar Privatjets. Die richtig großen, vierstrahligen Jumbojets, wie die legendäre Boeing 747, heben überhaupt nicht in Tegel ab. „Es sei denn, der amerikanische Präsident kommt alle fünf, sechs Jahre mal hier vorbei“, begeistert sich die Dame, die 2012 live bei der Landung von Obamas „Air Force One“ in Tegel vor Ort war.

Umkehr der Betriebsrichtung = weniger Lärm

„Aber heute ist es hier doch sowieso nicht so laut wie an anderen Tagen“, mischt sich ein Mittvierziger in das Gespräch ein. Wie das kommt, möchte ich wissen: „Na, weil die Startrichtung jetzt umgekehrt ist. Die Maschinen sind leiser, wenn sie über dem Kutschi starten, als wenn sie im tiefen Landeanflug hier runterkommen.“ Klingt logisch, denn ein Flugzeug gewinnt beim Start zügig an Höhe und ist daher schnell weit vom Ohr der Passanten entfernt. Bei der Landung hingegen verliert es dagegen stetig an Höhe und fliegt wesentlich tiefer über die Köpfe der Reinickendorfer hinweg.

Nach einigen weiteren Passanten naht der letzte Kandidat für meine Befragung. Ein Bauarbeiter mit Arbeitskleidung und ein paar Werkzeugen an seinem Gürtel: „Ick bin nur hier, weil ich da hinten uff‘m Bau arbeiten muss. Bin froh, wenn det bald vorbei ist. Fallen Dir ja de Ohren ab! Zum Glück habe ich die hier“, sagt er und zeigt grinsend auf seine großen Ohrschützer im Mickey-Maus-Format.

Die große Mehrheit ist pro Tegel

Von insgesamt 30 Befragten sprachen sich nur 7 für die Schließung von Tegel aus. 23 dagegen wollen den Kult-Flughafen gerne für immer offen halten, das entspricht 76,7 Prozent. Das Ergebnis deckt sich ziemlich genau mit den Zahlen der Initiative „Berlin braucht Tegel“ (74 Prozent der Reinickendorfer pro), bleibt jedoch etwas hinter der Umfrage der Zeitung „B.Z.“ zurück, die sogar 89,3 Prozent der Berliner Bürger pro Tegel gesehen hatte. Der Flughafen Tegel erfreut sich offenbar weiter ungebrochener Beliebtheit. Wer freiwillig hier lebt oder arbeitet, hat sich mit dem Lärm meist arrangiert oder ist schlichtweg ein Flugzeug-Liebhaber.

Verschärfung der Regelungen zu Leiharbeit und Werkverträgen: Gegenwind für Nahles

Nach dem Mindestlohn und der „Rente mit 63“ tritt Arbeitsministerin Andrea Nahles jetzt mit einer neuen Idee auf den Plan: Sie will die Regeln zur Leiharbeit und zu Werkverträgen verschärfen. Wichtigster Punkt ihres Gesetzentwurfes ist die Begrenzung der Leiharbeit auf eine Dauer von 18 Monaten. Damit solle die Leiharbeit wieder als Instrument „zur zeitlich begrenzten Deckung eines Arbeitskräftebedarfs geschärft“ werden, wie es im Referentenentwurf des Arbeitsministeriums wörtlich heißt. Anders gewendet bedeutet dies, dass Leiharbeit und Werkverträge kein „Deckmantel für Ausbeutung“ sein dürfen, wie Andrea Nahles in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung betont. Sie ergänzt, dass es bisweilen Arbeitgeber gebe, die Leiharbeiter „teilweise extrem lange einsetzen, ohne dass sich aus dem betrieblichen Ablauf erschließt, warum das so sein muss“.

Eine Ausnahme für die Begrenzung der Leiharbeit auf 18 Monate ist in dem Referentenentwurf allerdings auch vorgesehen:  „In tarifgebundenen Unternehmen sind (…) längere Einsatzzeiten von über 18 Monaten möglich“, steht im Konzept zu lesen. Gleiches gilt auch für Haustarifverträge. Für Fälle dieser Art zieht der Entwurf in seiner aktuellen Fassung keine zeitliche Obergrenze der Beschäftigung.

Zweiter Punkt: Leiharbeiter und Stammarbeitnehmer sollen nach neun Monaten bei der Bezahlung gleichgestellt werden. Ausnahme: Wird der Lohn des Leiharbeiters bereits vor Ablauf der neun Monate aufgestockt, „besteht der Anspruch auf Equal Pay (gleiche Bezahlung) erst nach einer Einsatzdauer von zwölf Monaten“, so die Formulierung im aktuellen Entwurfsstadium.

Nach den neuen Regelungen, die ab 2017 gelten sollen, wird es übrigens auch verboten sein, Leiharbeiter als Streikbrecher einzusetzen.

Bei den Werkverträgen plant die Ministerin mehr Transparenz: Betriebsräte sollen künftig über die Anzahl und Vertragsbedingungen der beschäftigten Werkvertragsarbeiter informiert werden. Zur Abgrenzung der Werk- von den Dienstverträgen sollen zudem acht Kriterien gesetzlich festgeschrieben werden, die sich aus einschlägigen Gerichtsurteilen ergeben.

Nahles‘ Intention, die hinter den geplanten Regularien steht, ergibt sich unmittelbar aus dem Koalitionsvertrag von 2013, in dem Union und SPD seinerzeit vereinbart hatten: „Den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit werden wir verhindern.“

Für die die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) schießt der Referentenentwurf des Arbeits- und Sozialministeriums weit über die Vorgaben des Koalitionsvertrages hinaus. BDA-Chef Ingo Kramer sieht Werkverträge und Zeitarbeit in erheblichem Umfang gefährdet, bezeichnet den Gesetzentwurf als „hochbürokratisch“,  „praxisfern“ und „in der Sache unsinnig wie undurchführbar“. Der Entwurf schränke die Tarifautonomie und die tariflichen Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner unnötig ein.

Auch mit dem Kriterienkatalog zur Abgrenzung von Werk- und Dienstverträgen ist Kramer nicht zufrieden: Der Katalog unterstelle das Vorliegen von Arbeitsverhältnissen, bei denen bisher ganz typische Dienst- oder Werkverträge durch selbstständige Unternehmen vorlägen. Kramer: „Das Outsourcing bestimmter Dienstleistungen an selbstständige Unternehmen würde damit ebenso vielfach gefährdet wie spezialisierte Zulieferung im Anlagenbau, IT-Dienstleister oder technische Serviceunternehmen.“

Ähnlich kritisch reagiert der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ). Dessen Hauptgeschäftsführer Werner Stolz erklärt: „Die Einführung einer Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten ist willkürlich und findet keine systematische Stütze in anderen gesetzlichen Regelungen, die durchgehend längere Maximal-Fristen vorsehen“.

Auch dem Koalitionspartner CDU/CSU schmeckt Nahles‘ Referentenentwurf nicht. So erklärte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Union, Karl Schiewerling, dass man zwar den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen bekämpfen müsse, die Flexibilität für die Wirtschaft allerdings erhalten bleiben müsse.

Noch einen Schritt weiter geht Schiewerlings Fraktionskollege Jens Spahn. Der erst 35-jährige Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesfinanzministerium forderte im Handelsblatt einen Verzicht auf die Neuregelung, will die flexiblen Arbeitsverhältnisse nicht beschränken. Als Grund gibt er den Zuzug hunderttausender Flüchtlinge an: „Wir müssen hunderttausende Menschen möglichst schnell in unseren Arbeitsmarkt integrieren. Daher muss unsere klare Botschaft an die Unternehmen sein, dass wir alles tun für mehr Beschäftigung und Wachstum statt immer mehr Regulierung“.

Auch die IG Metall zeigt sich von den Vorschlägen der Ministerin nicht begeistert. Anders als dem BDA gehen der Gewerkschaft die Regelungen jedoch nicht weit genug: „Insbesondere die Vorschläge gegen den Missbrauch von Werkverträgen sind halbherzig und völlig unzureichend, um Lohndumpingstrategien entgegenzutreten“, so der IG Metall Vorsitzende Jörg Hofmann. Die Mitbestimmungsrechte würden nur unzureichend erweitert. Gelungen sei dagegen die vorgesehene Regelung, dass Werkvertragsbeschäftigte im laufenden Einsatz nicht mehr zu Leiharbeitsbeschäftigten „umdeklariert“ werden könnten. Auch der geplante Kriterienkatalog zur Abgrenzung von Werk- und Dienstverträgen sei positiv.

Die Gewerkschaft kritisierte indes die Festlegung von Höchstüberlassungsdauern. Sie regele allenfalls den „Wanderzirkus“, den Leiharbeiter von Entleiher zu Entleiher erleiden müssten. „Sie regelt weder deren Wunsch auf Übernahme in den Entleihbetrieb, noch den Missbrauch von Leiharbeit, wenn Arbeitsplätze dauerhaft mit Leiharbeitern besetzt werden.“

Wie es weitergeht, bleibt zunächst abzuwarten. Ministerin Nahles plant, den Referentenentwurf bis Mitte Dezember zwischen den Ministerien abstimmen und dann vom Kabinett absegnen zu lassen.

Frank M. Wagner

Dauerbrenner Vorratsdatenspeicherung

Die SPD hatte die Vorratsdatenspeicherung (VDS) im Sommer 2015 abgenickt. Auf den ersten Blick ist das ein Sieg für Bundesjustizminister Heiko Maas, der die Pläne beim kleinen SPD-Parteitag verteidigt hat. Doch sein Image ist angekratzt. Schließlich war er kurz zuvor noch dagegen. Im Interview mit Parlamentskorrespondent Frank M. Wagner nahm Justizminister Maas jetzt Stellung.

Herr Minister, Ihr kleiner Parteitag, der SPD-Konvent, hat sich für die Vorratsdatenspeicherung entschieden. Auch weil Sie sehr dafür geworben haben, obwohl Sie früher strikt dagegen waren. Deshalb mögen Sie politisch gewonnen haben, Ihr Glaubwürdigkeitsproblem bleibt aber.

Wir haben auf dem Konvent viele Argumente für und gegen die Speicherung von Daten gehört. Und es ist gut, dass wir dieses wichtige Thema so ausführlich und sachlich debattiert haben. Das ist auch ein Qualitätsmerkmal der SPD, dass hier Themen ausführlich diskutiert werden, bevor sie beschlossen werden.

Es war doch so: Es gibt einige, die grundsätzlich nicht wollen, dass Daten gespeichert werden. Und es gibt andere, die genauso überzeugt davon sind, dass die Aufklärung von schwersten Straftaten nicht daran scheitern darf, dass Ermittler bestimmte Daten für einen kurzen Zeitraum zur Verfügung haben. Zwischen den Extrempositionen haben wir einen ausgewogenen Kompromiss gefunden: Wir bringen Freiheit und Sicherheit in Einklang.
Die eng begrenzte Speicherung von Verkehrsdaten ist kein Allheilmittel, sie ist aber auch nicht der Untergang des digitalen Abendlandes. Unser Gesetz ist in Europa konkurrenzlos restriktiv. Es werden weniger Daten für einen kürzeren Zeitraum bei höheren Zugriffshürden gespeichert als zuvor.

Wir orientieren uns strengstens an den engen Vorgaben des Verfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes. Ich bin mir sicher, dass unser Gesetzesvorschlag jeder gerichtlichen Überprüfung standhält.

Und: Ich finde es richtig, wenn wir jetzt vereinbaren, dass die Wirkung des Gesetzes nach einer bestimmten Frist überprüft werden muss. Die Prüfung sollte unter Einbeziehung wissenschaftlicher Sachverständiger erfolgen, die im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestellt werden sollten.

Dennoch gelingt es Ihnen nicht wirklich, Ihre Kehrtwende zu erklären. Sie hatten ja gesagt: „Der Europäische Gerichtshof verbietet die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, weil sie gegen Grundrechte verstößt. Und deswegen wird es sie auch nicht geben.“ Jetzt wird es sie allerdings doch geben. Warum?

Wir hatten uns innerhalb der Bundesregierung darauf verständigt: Wenn die Europäische Kommission eine neue Richtlinie macht, dann wird es in Deutschland erst dann ein Gesetz geben, wenn diese Richtlinie vorliegt. Wenn es diese Richtlinie nicht gibt, dann fällt das Thema Vorratsdatenspeicherung zurück in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dann muss darüber eine politische Entscheidung getroffen werden. Und genau vor dieser Situation standen wir jetzt. Was Herr de Maizière und ich letztlich versucht haben, ist, mit dem Konzept, das wir jetzt vorgelegt haben, dafür zu sorgen, dass die Rechtsprechung, die es dazu gibt und die relativ deutlich ist, auch eingehalten wird.

Sagen Sie. Andere bezweifeln das. Der „Spiegel“ hält Ihre Argumentation auf dem Konvent für entlarvend. Das „Hamburger Abendblatt“ hält Ihre Argumente zwar für richtig, schreibt aber auch, die SPD-Führung müsse wieder mehr über­zeugen, statt zu überrumpeln.

Ich bleibe dabei: Die Vorratsdatenspeicherung, die sich die Sicherheitsbehörden bei Polizei und Staatsanwaltschaften gewünscht haben, wird es so nicht geben. Die Sicherheitsbehörden gehen von ganz anderen Speicherfristen aus, sie wollen sechs Monate, alles andere sei zu kurz, sie wollen auch alle Daten und keine Einschränkungen. Und auch unter Beibehaltung meines kritischen Blicks auf die Vorratsdatenspeicherung wird das, was wir da vorgelegt haben, von einigen Befürwortern ja nicht einmal mehr als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet, weil es ihnen nicht weit genug geht. Wir haben ganz enge Grenzen angelegt und Höchstspeicherfristen. Wir haben gesagt: Okay, entweder wir definieren Anlässe, damit es keine anlasslose Speicherung gibt. Ein Anlass wäre zum Beispiel dann gegeben, wenn der Innenminister eine erhöhte Terrorwarnstufe ausruft. Dann würde gespeichert. Oder: Es gibt ein grundsätzlich anschlaggefährdetes Großereignis in Deutschland, beispielsweise Olympische Spiele oder den G7-Gipfel, ab dann würde gespeichert. Das ist aber technisch extrem schwierig, weil die Provider dann die Technik vorhalten müssen und dann sozusagen bei Anruf den Schalter umlegen. Dann hätte geklärt werden müssen, ob in ganz Deutschland gespeichert wird, wenn in Hamburg die Olympischen Spiele stattfinden. Straftaten, die wir eigentlich mitbekämpfen wollen, wie die Kinderpornographie oder sexueller Missbrauch, die kann man mit Anlässen gar nicht mehr erfassen. Denn bedauerlicherweise passiert das 365 Tage im Jahr. Also hätten wir die ganz rausnehmen müssen aus dem Anwendungsbereich. Deshalb haben wir gesagt: Wir kommen mit dem Anlass nicht weiter.

Welche Konsequenz folgt daraus?

Wir speichern zwar anlasslos, dafür dann aber eben nicht alle Daten. Demzufolge kann auch nicht, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) befürchtet, ein Persönlichkeitsprofil von jedem erstellt werden, weil zuvor eben nicht alle Daten abgespeichert wurden. Daher haben wir den kompletten Pool der E-Mail-Daten rausgenommen, also auch der IP-Adressen der E-Mails. Das ist quantitativ ein großer Anteil an den Verkehrsdaten. Und deswegen ist die Speicherung eben auf Verkehrsdaten aus der Telefonie sowie auf die IP-Adressen im Webverkehr und auf die Standortdaten, die letztlich ein sensibler, aber unverzichtbarer Eingriff sind, begrenzt. Letztere hätte es auch ohne Vorratsdatenspeicherung gegeben und gibt es ja auch jetzt schon. Wenn ein Verbrechen passiert, guckt man sich an, wer zur fraglichen Zeit in der Nähe des Tatorts mit dem Handy eingeloggt war.

Sensible Standortdaten werden Sie künftig vier Wochen lang speichern lassen, die restlichen Daten zehn Wochen. Darüber hat sich die CDU sehr gefreut. War das Geschenk an die Union wirklich nötig?

Dabei handelt es sich um Höchstspeicherfristen, das sind keine Mindestspeicherfristen. Danach müssen die Daten alle gelöscht werden. Das war im alten Gesetz nicht geregelt. Jetzt ist es dagegen so: Wer sich nicht an die Löschungsverpflichtung hält, wird mit Ordnungsgeldern ab 500.000 Euro belegt werden. Es gibt zudem einen harten Richtervorbehalt, ohne eine Kompetenz der Staatsanwaltschaft. Es kann also immer nur ein Richter, nie ein Staatsanwalt die Entscheidung treffen, die Daten zu nutzen. Alle Berufsgeheimnisträger wie etwa Ärzte, Anwälte und Journalisten sind ausgenommen. Es gibt darüber hinaus nur einen bestimmten Straftatkatalog, bei dem die gespeicherten Daten genutzt werden dürfen. Die Daten, die ja nicht vom Staat gespeichert werden, sondern von den Unternehmen, müssen auf einem separaten Server gespeichert werden. Dieser muss in Deutschland stehen. Die Daten dürfen nicht mit den sonstigen Verkehrsdaten des Unternehmens gespeichert werden. Also: Mehr an Vorkehrungen kann man nicht mehr einziehen. Nachdem wir jetzt eine Regelung haben, die mit Abstand die kürzesten Speicherfristen und mit Abstand die schärfsten Zugriffsregeln in ganz Europa hat, glaube ich, dass wir bei aller Sensibilität des Themas alle Vorgaben der Rechtsprechung vollständig eingehalten haben. Insofern kann ich diejenigen, die glauben, dass die Regelungen nicht grundrechtskonform sind, nur auffordern, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Die Richter werden dann darüber entscheiden. Aber ich glaube, gerade das Urteil des Verfassungsgerichts haben wir jetzt 1:1 umgesetzt.

Ihr Parteifreund Lars Klingbeil fürchtet, dass diese Regelung erneut vor Gerichten keinen Bestand haben wird. Er sollte sich auskennen, ist netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Was macht Sie eigentlich so sicher, dass die neue Regelung der Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird?

Wir haben alle Punkte, die im Urteil stehen, berücksichtigt. Das Gericht hat gesagt: Das damalige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist grundsätzlich möglich, wenn folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Man kann die VDS nur für besonders schwere Straftaten nutzen, diese müssen in einem Katalog zusammengestellt werden. Das haben wir gemacht. Dann dürfen weder Staat noch Unternehmen jeweils alleine darauf zugreifen, es muss eine Art Vier-Augen-Prinzip geben. Dann folgen die Sicherheitsstandards, wie etwa, dass es zur Speicherung einen eigenen Server geben muss, der in Deutschland stehen muss. Auch das haben wir in den Gesetzestext geschrieben. Dem Schutz von Berufsgeheimnisträgern ist Rechnung zu tragen. Für diese Berufsgruppen haben wir ein Verwertungsverbot in das Gesetz übernommen. Es braucht einen Richtervorbehalt, den harten Richtervorbehalt haben wir ebenfalls gesetzlich normiert. Wir haben die Voraussetzungen also wirklich 1:1 abgeschrieben. Und das sind unsere Leitlinien, die Gegenstand des Gesetzes werden. Deshalb frage ich mal zurück: An welcher Stelle stehen wir denn im Widerspruch gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts?

Ausgerechnet die E-Mail-Daten wollen Sie nicht speichern. Brauchen Sie die nicht?

Wir haben von vornherein gesagt, wir werden nicht alle Datenarten speichern können. Und wir haben vier Datenarten kategorisiert: Telefonie, wie Festnetz, Mobilfunk und Internettelefonie, IP-Adressen im Webverkehr, ohne die aufgerufenen Seiten, die Standortdaten und den E-Mail-Verkehr. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass Verbrecher auch über E-Mail kommunizieren. Aber die E-Mail ist das Massenkommunikationsmittel heutzutage, das jeder nutzt.

Tricksen Sie bei den E-Mails nicht? Es gibt ja noch die Telekommunikationsüberwachungsverordnung, mit der Ermittler ohnehin Zugriff auf den Mailverkehr haben.

Na ja, wir definieren hier jetzt ja erst mal die Daten, die gespeichert werden müssen. Übrigens: Fast jeder Provider und Telekommunikationsanbieter speichert ja auch weiter die Verkehrsdaten seiner Kunden – und das teilweise sogar länger. Nur da hat jeder Kunde zugestimmt, als er seinen Vertrag abgeschlossen hat. In dem Vertrag steht drin, wie lange gespeichert wird. Wenn man das nicht will, muss man sich einen anderen Provider suchen, der kürzer oder gar nicht speichert, das gibt es auch – aber selten. Provider speichern die Daten ihrer Kunden teilweise sechs bis acht Monate – davon sind wir bei unseren Höchstspeicherfristen weit weg. Ich sage: Was man freiwillig seinem Provider gibt, ist nicht so geschützt, wie das, was auf Verpflichtung des Staates hin gespeichert wird.

Sie können noch so gut argumentieren – dass es die Vorratsdatenspeicherung jetzt gibt, wirkt wie ein Einknicken vor der CDU. Schließlich war das Thema ja eigentlich schon komplett vom Tisch.

So ganz erledigt hatte es sich nicht, es ist öffentlich nicht mehr so viel drüber geschrieben worden. Denn letztlich stand immer noch die Entscheidung der EU-Kommission aus, ob sie eine eigene Richtlinie macht oder nicht. Die hat sich da ein wenig Zeit genommen, um das zu prüfen und hat dann festgestellt, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten eigentlich der Auffassung ist, das die Europäische Kommission diese Frage nicht noch mal lösen muss, da jedes Land schon ein solches Gesetz hat und dieses im Rahmen seiner eigenen verfassungsmäßigen Ordnung ausgestaltet. Als dies im Februar klar wurde, war das Thema dann doch wieder präsent.

Aber man hätte die Vorratsdatenspeicherung ja auch einfach gar nicht regeln können.

Man hätte sie auch gar nicht regeln können, ja. Theoretisch zumindest.

Also gab es doch Druck der Union? Denn die wollte die Speicherung ja gerne regeln und die SPD eher nicht.

Na ja, es gibt ja auch welche in der SPD, die das wollen, zum Beispiel viele Innenminister. In der Union ist die Anzahl derer, die eine Speicherung regeln wollten, aber größer, das stimmt. Letztlich ist es ein politischer Kompromiss. Man kann auch sagen: Die Protagonisten sind de Maizière und Maas. De Maizière will mindestens 6 Monate, Maas will null. Da muss man sich irgendwo einigen. Und das haben wir versucht.

Kompromiss ist ein schönes Stich­wort. Man könnte sagen: Für die Maut der Union bekommt die SPD den Mindestlohn und für das Betreuungsgeld erhält die SPD die Rente mit 63. Was haben Sie denn jetzt für die Vorratsdatenspeicherung gekriegt?

(lächelt) Unverschämterweise: nichts.

Das ist aber ein sehr hoher Preis.

Aber es funktioniert auch nicht so, wie Sie das beschrieben haben. Es kann schon sein, dass es nach außen so aussieht, dass Dinge miteinander verknüpft werden. Ich will nicht ausschließen, dass es so etwas nicht auch mal gibt. Aber das ist echt nicht die Regel. So funktioniert das nicht. So kann man auch auf Dauer nicht Politik machen. Es geht im Wesentlichen um sachliche Fragen: Geht das, machen wir das mit? Das hat man ja auch bei den Höchstspeicherfristen jetzt gesehen: Wir haben da um die Details gerungen, um Kleinigkeiten. Da verbindet man keine Äpfel mit Birnen. Wenn ich mir angucke, was die SPD alles gemacht hat in diesem ersten Jahr von Rente über Mindestlohn, Frauenquote, Mietpreisbremse, da wüsste ich gar nicht, wofür die Union da immer etwas bekommen hätte. Was sind denn die ganzen Projekte, die die Union dafür bekommen hat? So viele bekomme ich ja gar nicht zusammen.

Würden Sie aber schon noch zugeben, dass Sie bei der Frage der Vorratsdatenspeicherung ein Stück weit umfallen oder Ihre Position aufgeben mussten?

Im Grunde besteht unsere Arbeit ständig darin, die eigene Position mit den Positionen der anderen in der Koalition abzugleichen und daraus halt eine gemeinsame Position zu machen. Das ist hier besonders schwer und mir bei diesem Thema auch besonders schwergefallen. Aber das ist eigentlich überall so. Auch bei der Mietpreisbremse. Was haben wir da rumverhandelt, bis es dann endlich mal soweit war. Oder bei der Frauenquote. Und bei der Vorratsdatenspeicherung ist es eben auch so. Im Übrigen haben hier in der Tat auch die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ vom Januar eine Rolle gespielt. Wenn es in Deutschland mal einen Anschlag geben sollte – was hoffentlich nie passiert, aber auch leider nicht ausgeschlossen werden kann – wird die öffentliche Debatte auch darum gehen: Haben wir alle Ermittlungsinstrumente, um die Täter zu finden, um weitere Anschläge vielleicht zu verhindern? Diese Frage habe ich mir sehr persönlich gestellt – und jeder sollte diese Frage für sich auch selbst mal beantworten.

Ein ganz anderes Thema ist der Rechtsradikalismus, den Sie sehr klar und eindeutig ablehnen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um ihn effektiv zu bekämpfen: Können Sie vielleicht einen neuen Straftatbestand einführen?

Also mit Straftatbeständen allein wird man den Rechtsradikalismus nicht in den Griff kriegen. Grundsätzlich soll das Strafrecht immer das letzte Mittel sein. Es gibt jetzt schon Möglichkeiten wie Volksverhetzung und andere Tatbestände, die einfach nur angewandt werden müssen – und auch werden. Wir werden aber auch mit den bestehenden Gesetzen den Rechtsradikalismus nicht aus den Köpfen einer Minderheit in Deutschland rausbekommen können. Insofern gibt es nicht die eine Maßnahme oder Aktion, mit der man des Problems Herr wird. Ich glaube im Übrigen, dass jeder da eine Verantwortung hat, nicht nur ein Minister oder die Politik, sondern dass das Thema eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Die Mittel, die für die Anti-Rassismus-Programme und die Anti-Rechtsextremismus-Programme bei Manuela Schwesig liegen, sind deutlich erhöht worden. Diese Mittel, die präventiv wirken, etwa durch Initiativen und Projekte, die junge Menschen aufklären sollen, sind verfünffacht worden. Denn es sind einfach auch zu viele Menschen mit einfachen Lösungen verführbar – und deshalb müssen wir da ansetzen und präventiv aufklären. Wir dürfen den Rechtsextremen niemals die Straße überlassen, sondern uns friedlich dagegen positionieren.

Und was müssen Ordnungs­be­hörden und Justiz tun?

Wir müssen dort, wo Rechtsradikalismus zu Straftaten führt, diese mit den Mitteln des Strafrechtes, die wir haben, konsequent ahnden. Daneben bleibt die Bekämpfung des Rechtsradikalismus für jeden, egal ob er Minister ist oder Arbeitnehmer, auch eine höchstpersönliche Aufgabe. Als Bundesjustizministerium unterstützen wir aktiv etwa die Aktion ‚Gesicht zeigen‘, bei der Prominente wie ZDF-Moderatorin Dunja Hayali in Schulen gehen und mit den Jugendlichen über die Gefahren von Rechts diskutieren. Ich selbst habe im letzten Jahr auch drei Schulklassen besucht, unter anderem in Dillingen. Es geht darum, nicht wegzuschauen, sich zu ducken oder wegzulaufen, sondern ‚Gesicht zu zeigen‘ – wie es in dem Projekt heißt – wenn jemand mitbekommt, dass irgendwo rassistisch, extremistisch, fremdenfeindlich argumentiert wird. Und das geht uns alle an.

Sie sagten, man muss das Strafrecht konsequent umsetzen. Warum handeln Justiz und Exekutive denn nicht immer entsprechend? Im Osten beispielsweise wird das Problem des Rechtsradikalismus ja seit Jahrzehnten nicht wirklich besser.

Wie gesagt: Mit dem Strafrecht allein wird man den Rechtsextremismus nicht reduzieren können. Wir müssen auch dazulernen, wenn die Aufarbeitung und Strafverfolgung nicht zufriedenstellend verlaufen sind. Dass über mehrere Jahre hinweg das rechtsextreme NSU-Trio unentdeckt Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, ermorden konnte, ohne dass die Taten von den Ermittlungsbehörden in einem rassistischen und rechtsextremistischen Zusammenhang gesehen wurden – dafür kann man sich nur entschuldigen. Das war auch ein Stück Staatsversagen. Das darf nie wieder so passieren.

Welche Konsequenzen hat der Staat daraus gezogen?

Es sind sogar sehr klare Konsequenzen gezogen worden: Für die Bundesregierung habe ich ein Gesetz ins Parlament eingebracht, wo es um zwei Dinge geht, die verhindern sollen, dass so etwas noch mal passiert: Zum einen soll der Generalbundesanwalt in Karlsruhe, der Terrorismus und Spionage bekämpft, die Möglichkeit bekommen, die Ermittlungsverfahren an sich zu ziehen, wenn er sieht, dass es zusammenhängende Taten über Ländergrenzen hinweg gibt. Das halte ich für ganz wichtig, damit keine Informationen irgendwo zwischen Zuständigkeitsfragen mehr verloren gehen. Wir machen das Thema auch zu einer Sache des Generalbundesanwaltes, was früher so nicht der Fall gewesen ist. Und wir ändern darüber hinaus das Strafgesetzbuch bei der Strafzumessungsregel. Das heißt, dass fremdenfeindliche, rassistische oder ansonsten menschenverachtende Motivationen von Tätern bei der Strafzumessung künftig stärker zu berücksichtigen sind. Das heißt, dass die Täter härter bestraft werden.

In Ihrem Heimat-Bundesland, dem Saarland, sind in den letzten Monaten keine Angriffe auf Flüchtlingsheime bekannt geworden. Woran liegt das?

Zum ersten bin ich echt froh, dass es bei uns im Saarland so ist. Das Saarland ist ein Land an der Grenze, wir leben sozusagen auf der Grenze. Die Saarländer haben eine Identität, die eher auch gastfreundlich ist, also offen und hilfsbereit. Das mag dabei helfen. Aber das ist keine Gewähr dafür, dass bei uns so etwas nicht passieren wird. Aber bei uns, glaube ich, dass die sehr bewegte Geschichte des Saarlandes – mal deutsch, mal französisch, mal selbstständig, dann wieder deutsch – vielleicht ein bisschen dazu beigetragen hat, dass die Saarländer sich eher in die Lage hineinversetzen können, Fremde im eigenen Land zu sein. Vielleicht gibt es deshalb bei uns einen anderen Boden oder ein anderes Bewusstsein für diese Themen. Das trägt sicherlich dazu bei, dass wir nicht die Probleme haben, die andere Länder haben.

Und warum, glauben Sie, werden im Osten deutlich mehr fremdenfeindliche Straftaten begangen als im Westen? Liegt das daran, dass die Ostdeutschen nicht wie die Saarländer stets auf der Grenze lebten?

Ich glaube, dass das viele Gründe hat. Das hat sicherlich auch was mit der Vergangenheit zu tun, auch damit, wie in der DDR mit dem Thema Ausländer umgegangen wurde. Denn die gab es in der DDR ja quasi nicht. Und nach der Wende gab es plötzlich bei vielen eine große Angst um die eigene Zukunft. Es gab plötzlich Arbeitsfreiheit, aber auch Arbeitslosigkeit. Dies hat bei manchen auch Ängste geschürt, vielleicht auch dahingehend, dass jeder, der zusätzlich in den Osten kommt, einem die Arbeit wegnehmen könnte. Aber die Fremdenfeindlichkeit, die teilweise im Osten zu beobachten ist, ist in keinster Weise akzeptabel. Wenn ich mir anschaue, dass Pegida-Demonstrationen in Dresden stattfinden – das ist die Stadt in Deutschland mit den wenigsten Ausländer überhaupt – dann kann man nur den Kopf schütteln. Aber es gibt auch viele positive Gegenbeispiele. Ich habe zum Beispiel Kontakt zum Pfarrer in Tröglitz, der mir berichtet, wie sich die Kirchengemeinde dort für Flüchtlinge engagiert. Das finde ich toll – gerade in Tröglitz, gerade wegen der dortigen Ereignisse.

Sie haben „Pegida“ genannt. Sie waren als Gegendemonstrant bei dem Berliner Ableger „Bärgida“ vor Ort dabei und sind mitgelaufen. Haben Sie sich dabei auch auf die Straße gesetzt und damit die Bärgida-Demonstration blockiert oder Ähnliches?

(lächelt) Nein. Dass manche Teilnehmer am Ende mit einer Art Blockade versucht hatten, die Demo von Bärgida zu unterbinden, habe ich vor Ort gar nicht mitbekommen, ich war auch nicht die komplette Zeit dabei. Die Vielen, die da mitgegangen sind, hatten das Bedürfnis, Farbe zu bekennen und die Straße nicht den Extremisten und den Hetzern zu überlassen. Und das war auch meine Motivation.

Das heißt, Sie hatten nicht die Motivation, etwas zu blockieren und sich hinzusetzen? Wolfgang Thierse hat das zu den Zeiten, als er Vizepräsident des Bundestages war, ja tatsächlich einmal gemacht. Warum haben Sie sich nicht gesetzt?

Ich habe so großes Vertrauen in unsere staatlichen Organisationen und in unseren Rechtsstaat, dass ich mich nicht dazu genötigt fühle, so zu handeln. Ich finde, es ist wichtig, auf die Straße zu gehen, Gesicht zu zeigen, nicht still zu sein. Man muss nicht unbedingt eine Sitzblockade machen, um sich denen in den Weg zu stellen, die teilweise auf der Straße rumlaufen und wirklich gruselige Dinge verbreiten. Wir haben gerade 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges. Wir erleben gerade einen großen Prozess gegen einen Mitarbeiter des Konzentrationslagers in Auschwitz. Wir haben einen Fritz-Bauer-Preis ausgelobt, der in den 60er-Jahren den Auschwitz-Prozess in Frankfurt auf den Weg gebracht hat. Wir beschäftigen uns schon mit den Fragen: Was ist denn ziviler Widerstand und wann muss man zivilen Widerstand leisten? Man muss nur in die deutsche Geschichte schauen. Es ist gerade ein Film über Elser gelaufen, den Hitler-Attentäter, der mit einer Bombe, die auch andere Menschen das Leben gekostet hat, Hitler umbringen wollte. Das sind jetzt extreme Formen des Widerstands in extremen geschichtlichen Situationen. In einer solchen Situation befinden wir uns aber gottlob nicht.

Gibt es denn überhaupt eine Art Widerstandsrecht, oder muss ein Bürger es hinnehmen, wenn Rechtsradikale sich vor ein Flüchtlingsheim stellen und dort Parolen brüllen? Denn die Meinungsäußerungsfreiheit des Grundgesetzes schützt ja schließlich auch gruselige Meinungen. Muss man diese also tolerieren?

Ja, das ist leider so. Das ist aber auch der Kern der Meinungsfreiheit, dass auch die Meinung der anderen geduldet werden muss, auch wenn sie noch so scheußlich ist – solange keine gesetzlichen Grenzen überschritten werden. Alles andere würde darauf hinauslaufen, dass wir irgendwo eine Stelle haben, die definiert, was ist eine Meinung, die man äußern darf und die geschützt ist, und was nicht. Das geht nicht, das will ich auch nicht. Und deshalb muss man auch solche Meinungen ertragen. Und man muss auch ertragen, dass die ihre Meinung offen sagen und auch in Demonstrationen kundtun können. Jeder hat das Recht zu demonstrieren wofür und wogegen man will.

Aber ich sage auch: Jeder hat auch moralische Pflichten – zum Beispiel die Pflicht, darüber nachzudenken, hinter welcher Fahne man da herläuft. Genau das war Kern meiner Kritik an denen, die bei Pegida in der dritten, vierten Reihe mitskandiert haben. Aber das zeigt eigentlich nur, wie wichtig es ist, dass es keine rechtextreme Demonstration ohne Gegendemonstration geben sollte. Alles andere schafft ein schiefes Bild, gerade in Deutschland. Die Krakehler bei Pegida und Co. sind nicht Deutschland. Das ist nicht die Mehrheit in unserem Land.

Mehr als eine Gegendemonstration anzumelden, kann der Bürger also nicht tun. Oder gibt es daneben auch eine Art Grau-Bereich, in dem man sich engagieren kann?

Ich kann verstehen, dass manche es unerträglich finden, wenn die Neonazis durch die Straßen laufen und Parolen brüllen, aber es gibt ganz unterschiedliche Formen, sich dem auch intelligent entgegenzusetzen. Ich erinnere mich an eine Situation im Saarland: Das war auf dem Steinrausch, da hat die NPD, glaube ich, in einem Lokal eine Veranstaltung machen wollen und diese auch groß beworben. Es ging natürlich gegen Ausländer und Sozialschmarotzer und so weiter. Diese Veranstaltung hat nie stattgefunden, weil die dortige SPD sich in der Kneipe verabredet hatte, und zwar eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn. Und jeder, der kam, hatte sich verpflichtet, noch drei, vier Leute mitzubringen. Das hat dazu geführt, dass die Kneipe inklusive des Veranstaltungsraums eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn der NPD so voll war, dass einfach keiner mehr reingepasst hat. Das war auch eine Form von Blockade, aber eine intelligente Form des Protests. Ich glaube, es geht schon, sich so etwas entgegenzustellen, ohne dass man den Straftatbestand der Nötigung erfüllt.

Interview: Frank M. Wagner

„Cameron konnte uns seine Meinung nicht diktieren“

Eine EU ohne die Briten kann sich Hans-Gert Pöttering nicht vorstellen. Auf der Nase herumtanzen lassen ginge aber auch nicht, glaubt der Ex-Präsident des EU-Parlaments. Dieses sieht er bei Martin Schulz in guten Händen. Auch weil sein Parteifreund Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident wurde.

Interview: Frank M. Wagner

Herr Prof. Pöttering, als ehemaliger EU-Parlamentspräsident sind sie ein Brüsseler Insider. Jean-Claude Juncker ist jetzt doch Kommissionspräsident und Martin Schulz bleibt Präsident des Europäischen Parlaments. Er ist also einer ihrer Nachfolger. Ist das für Sie in Ordnung so?

Das ist sehr in Ordnung. Jean-Claude Juncker kenne ich seit den 80er-Jahren, ich habe immer einen großen Respekt, eine Bewunderung für ihn gehabt. Und als Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei, der Christdemokraten im Europäischen Parlament wollte ich schon vor zehn Jahren, dass er Präsident der Kommission würde. Aber er wollte es damals nicht, sodass ich sehr froh bin, dass ich damit praktisch zehn Jahre später Recht behalten habe. Was Martin Schulz angeht, so ist es Teil der Berücksichtigung der anderen großen politischen Parteienfamilie, dass er das herausgehobene Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments weiter behält. Er ist der Erste, der dann fünf Jahre dieses Amt innehaben wird. Auch mit dieser Entscheidung bin ich alles in allem zufrieden.

Erwarten Sie von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident tiefgreifende, signifikante Veränderungen?

Jede Zeit hat ihre neuen Herausforderungen. Wir müssen innerhalb der Europäischen Union eine Konsolidierung vornehmen, um in Zukunft die wirklich großen Dinge wichtiger als die kleinen zu nehmen. Und deswegen bin ich sicher, dass Jean-Claude Juncker als ein überzeugter und leidenschaftlicher Europäer alles tun wird, dass sich die Europäische Union um die großen, drängenden Fragen – auch der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik – kümmern wird. Er wird ein Anwalt für den Binnenmarkt sein, für eine starke europäische Währung und auch, wie ich hoffe, für den Klimaschutz und dass wir die Europäische Union den Menschen näherbringen. Dafür steht Jean-Claude Juncker. Und ich als Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung habe allen Grund, ihm dazu das Beste zu wünschen.

Auch wenn die Finanzkrise kein Thema mehr zu sein scheint: Es gibt sie noch. Kann Juncker sie nachhaltig und langfristig in den Griff bekommen?

Das ist natürlich keine Aufgabe, die er allein lösen kann. Aber Jean-Claude Juncker als leidenschaftlicher Anhänger der gemeinsamen europäischen Währung wird alles tun, dass der Euro eine gute Zukunft hat, und dabei verdient er alle Unterstützung.

Der britische Premier David Cameron ist aus den Verhandlungen über Junckers Amt als Kommissionspräsident als Verlierer herausgegangen. Wird sich die Situation Großbritanniens mit Blick auf die EU weiterentwickeln?

Ich wünsche mir, dass Großbritannien Teil der Europäischen Union bleibt. Das Land ist eine große Nation, wir verdanken Großbritannien viel, was Demokratie und Parlamentarismus angeht. Und ich kann mir die Europäische Union ohne Großbritannien kaum vorstellen. Aber David Cameron konnte uns auch seine Meinung nicht diktieren. Es kann nicht einer dem anderen den Willen aufzwingen, sodass ich hoffe, dass nun alle aufeinander zugehen und wir Lösungen finden, die sicherstellen, dass wir in unserer europäischen Familie in der Europäischen Union zusammenbleiben.

Großbritannien war ja schon immer einer der sogenannten Hardliner. Für wie wahrscheinlich halten Sie es denn, dass die Briten in der EU bleiben?
Wenn sich die Politik von London zu sehr wegbewegt von Brüssel, von der europäischen Einigung, dann wird das Wegstreben der Schotten von Großbritannien, die ja historisch und auch gegenwärtig sehr europafreundlich sind, stärker werden. Es ist deshalb auch im Interesse des Vereinigten Königreiches und damit im Interesse des Premierministers David Cameron, dass er seine Kritik an Brüssel nicht übertreibt und dass auch er die Bereitschaft entwickelt, Lösungen zu finden, die dazu führen, dass wir zusammenbleiben.

Und diese Bereitschaft entwickelt Cameron auch?
Das wird die Zukunft zeigen. Aber es ist meine dringende Hoffnung.

In den nächsten Monaten wird sich die EU mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) beschäftigen müssen, das derzeit zwischen den USA und der Europäischen Union ausgehandelt wird: Können Sie als einer der Europäer einmal erklären, warum diese Verhandlungen stets völlig geheim ablaufen müssen? Warum der Bürger nichts davon wissen darf und am Ende dann ein Regelwerk vor die Tür gestellt bekommt, das er dann schlucken darf?

Das ist der Eindruck, der entsteht. Aber gleichzeitig werden diese Fragen im Europäischen Parlament diskutiert, sind damit sehr transparent. Meine Empfehlung an die europäischen Institutionen ist, dass diese Verhandlung mit unseren amerikanischen Partnern und Freunden sehr transparent geführt werden. Ich halte eine Vereinbarung über dieses wichtige Abkommen mit den USA für wünschenswert, aber wir müssen die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union auf diesem Wege mitnehmen.

TTIP braucht mehr Transparenz

Brauchen wir denn unbedingt direkt ein komplettes Freihandelsabkommen oder reicht es aus, wenn wir bestimmte Regelungen für bestimmte Bereiche treffen?

Darüber muss man jetzt sprechen, es ist offen, wie am Ende ein solches Abkommen aussieht. Das ist Bestandteil der Verhandlungen. Und man wird sich dann auf einen guten Kompromiss einigen. Da spielen amerikanische Interessen eine Rolle, es spielen europäische Interessen eine Rolle und beides muss man in ein vernünftiges Gleichgewicht bringen.

Kompromiss ist ein gutes Stichwort. Aktuell wird ja immer wieder darüber diskutiert, inwieweit die Gewinnaussicht amerikanischer Unternehmen durch das Freihandelsabkommen TTIP geschützt werden soll. Diskutiert wird ja, ob für den Fall, dass Umstände eintreten, die die Gewinnaussichten der amerikanischen Unternehmen beeinträchtigen oder zunichte machen, diese Unternehmen eine Art Schadenersatzanspruch gegen die EU erhalten. Finden Sie das in Ordnung?

Über all diese Fragen muss diskutiert werden und keiner sollte den anderen über den Tisch ziehen.

Vom Kritiker zum Partner: Wie die SPD die Europolitik beeinflusst

Die SPD hat in den Zeiten vor der Großen Koalition bei europapolitischen Fragen stets mit Union und FDP gestimmt, auch wenn sie deren Haltung dabei heftig kritisiert hat. Inzwischen sind die Sozialdemokraten selbst Teil der Bundesregierung geworden und wollen ihre Kritik von damals nun in aktives Regierungshandeln umwandeln. In wie weit dies als Juniorpartner einer Großen Koalition gelingen kann, erklärt der für Europa zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, im Interview mit Frank M. Wagner.

Wagner: Herr Staatsminister, es gibt diverse Wissenschaftler, die sagen: Die Krise in Europa ist nicht vorbei und sie wird sogar wiederkommen. Sehen Sie das auch so?

Staatsminister/AA Roth, MdB: Es sollte unsere gemeinsame Aufgabe sein, gerade auch im Vorfeld der Europawahlen,  auch positive Botschaften in Europa in den Vordergrund zu stellen. Das heißt nicht, dass man die gegenwärtige Lage besser redet, als sie tatsächlich ist. Aber viel schlimmer als die wirtschaftliche Krise ist die Identitäts- und schwere Vertrauenskrise und damit auch die politische Krise, in der sich die Europäische Union befindet. Für viele Bürgerinnen und Bürger, gleich aus welchem Land sie kommen, ist Europa mehr Teil des Problems als Teil der Lösung. Insofern haben überzeugte Europäer so wie ich viel zu tun, schließlich dürfen wir Europa nicht den Populisten und Extremisten überlassen.

Wagner: Stabilität ist also das Stichwort.

Staatsminister/AA Roth, MdB: Es hat sich in den Krisenländern im Hinblick auf die haushaltspolitischen Kennziffern ja Einiges zum Positiven gewendet, aber wir sind bei weitem noch nicht über dem Berg. Ich komme gerade aus Griechenland und da muss ich deutlich sagen: Die soziale Lage bleibt weiterhin dramatisch, die Jugendarbeitslosigkeit ist in vielen Staaten viel zu hoch. Wir brauchen mehr sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und es ist unsere Aufgabe in der neuen Regierung dazu beizutragen, dass wir nicht mehr nur über den Euro und über die Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch über die Stärkung der sozialen Dimension in der Europäischen Union sprechen.

Wagner: Das heißt, die Europolitik ist eine Mischung aus Finanzthemen und sozialen Themen?

Staatsminister/AA Roth, MdB: Zuallererst ist  die Europäische Union eine Werteunion. Unser Europa gründet sich vor allem auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Toleranz. Wenn es uns nicht gelingt, dieses politische Werteprojekt stärker in den Vordergrund zu rücken, dann haben wir ein dauerhaftes Legitimationsproblem. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eben zurecht mehr als einen funktionierenden Binnenmarkt.

Wagner: Die Haltung der SPD zum Thema Europolitik war vor der Bundestagswahl ja eine etwas andere als die der CDU. Stichwort: „Eurobonds“, „Vergemeinschaftung von Schulden“ und dergleichen mehr. In wie weit kann die SPD jetzt einen Turnaround machen bzw. in wie weit verändert sich die Europolitik der SPD, nachdem sie ja jetzt Mitglied der Großen Koalition ist?

Staatsminister/AA Roth, MdB: Das europapolitische Kapitel im Koalitionsvertrag ist sehr stark davon geprägt, jetzt eine klare Politik für Wachstum und Beschäftigung zu gestalten, die den sozialen Zusammenhalt stärker in den Vordergrund rückt. Eine Politik, die die Auseinandersetzung mit den Populisten und Extremisten offensiv aufnimmt und eine Politik, die wertebasiert und nicht nur technokratisch vermittelt wird. Dem fühlt sich das Auswärtige Amt in besonderer Weise verpflichtet.

Wagner: Das heißt, Eurobonds sind jetzt kein Thema mehr?

Staatsminister/AA Roth, MdB: Selbstverständlich hat sich die SPD nicht mit Allem durchsetzen können. Aber mir ist es wichtiger, über Projekte und Ziele zu reden, als über Instrumente. Insofern waren die Eurobonds oder auch der Altschuldentilgungsfond ja nur ein Instrument, um die Solidaritätsunion zu stärken.

Wagner: Das aggressive Spardiktat der Kanzlerin haben Sie in Zeiten von Schwarz-Gelb ja stark kritisiert, auch wenn Sie damals – jedenfalls im Ergebnis – mit Union und FDP gestimmt haben. Heute bleiben Sie aber auch dabei, dass Sie sagen, Sparen alleine könne zum Beispiel Griechenland nicht wieder gesunden lassen.

Staatsminister/AA Roth, MdB: Wer sich die Lage in den Krisenländern, insbesondere in Spanien oder auch in Griechenland anschaut, der weiß: Selbstverständlich müssen die Strukturreformen konsequent fortgesetzt werden. Wir brauchen eine funktionierende Steuerverwaltung und eine moderne Bürokratie. Aber die Bürgerinnen und Bürger müssen spüren, dass sie nicht alleine die Hauptleidtragenden der Krisenpolitik sind. Insofern ist es wichtig, jetzt konsequent für Beschäftigung und für Wachstum zu arbeiten. Und da können auch wir einen Beitrag leisten. Nicht zuletzt haben wir es ja auch durchgesetzt, dass die Europäische Union für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit sechs Milliarden Euro in 2014 und 2015 zur Verfügung stellt. Das Geld muss jetzt investiert werden, es muss jetzt bei den jungen Leuten ankommen, damit diese mit Europa auch wieder ein Zukunftsversprechen verbinden.

Wagner: Sie sagen, der Bürger soll nicht der Hauptleidtragende sein. Tatsächlich ist es in Griechenland aber so, dass „die Reichen“ oder auch keine einzige Bank jemals zur Verantwortung gezogen wurden, sondern die Sparmaßnahmen vor allem am Sozialsystem ansetzten und damit insbesondere den „kleinen Mann“ trafen. Aber es ist nicht so, dass man wirklich Verantwortliche – wie Banken – zur Verantwortung gezogen hat. Dabei gab es aber doch früher genau diesen Ansatz der SPD, die gesagt hat: Da müssen wir ran!

Staatsminister/AA Roth, MdB: Dem muss ich erstmal widersprechen. Alleine schon durch den Schuldenschnitt sind ja gerade auch die Besitzer großer Ersparnisse belastet worden, die Steuern sind erhöht worden. Aber Sie haben selbstverständlich recht: Bei den Kürzungen von Sozialleistungen, Löhnen, Gehältern und Pensionen sind in erster Linie die kleinen Leute, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner und insbesondere auch die junge Generation überproportional belastet worden. Das Kapital hat sich verflüchtigt, die Millionäre und Milliardäre haben ihr Geld ins Ausland transferiert, das spürt man auch in Deutschland. Fragen Sie doch mal, wer hier in Berlin-Mitte die Wohnungen gekauft hat und damit auch dazu beigetragen hat, dass die Immobilienpreise in Berlin massiv gestiegen sind. Da ist sicher auch der eine oder andere reiche Grieche dabei. Also die Frage der sozialen Gerechtigkeit stellt sich für die gesamte Europäische Union. Die Zumutungen und weitere Lasten müssen für den Großteil der Durchschnittsbevölkerung beendet sein. Gleichzeitig aber sollen die Strukturreformen konsequent fortgesetzt werden. Das Krisenbewältigungsprogramm besteht aus mehreren Bausteinen. Das Ende der Fahnenstange ist bei sozialen Einschnitten erreicht. Bei den Strukturreformen sehe ich jedoch noch viel Luft nach oben. Im Übrigen wird mir das auch von den griechischen Partnern bestätigt.

Wagner: Sie waren ja gerade in Thessaloniki: Wir war Ihr Eindruck der Situation?

Staatsminister/AA Roth, MdB: Ich habe dort mit Kommunalpolitikern, insbesondere dem Oberbürgermeister der Stadt, aber auch mit arbeitslosen Jugendlichen und mit Verantwortlichen von Qualifizierungs- und Beschäftigungsinitiativen gesprochen. Und da kann ich unterm Strich nur sagen: Die soziale Lage bleibt dramatisch. Wir brauchen jetzt konkrete Angebote für die jungen Leute. Wir haben uns gerade heute in der Europastaatssekretärsrunde verpflichtet, innerhalb der Bundesregierung noch einmal ganz gezielt zu schauen: Wo und wie können wir in den nächsten Monaten konkret Griechenland helfen?

Wagner: Also muss man nicht davon ausgehen, dass jetzt quasi durch die Hintertür doch wieder Eurobonds oder die Vergemeinschaftung von Schulden in Frage kommen? Ist dies völlig ausgeschlossen und ist es nicht so, dass das Regierungshandeln der SPD ja insoweit jetzt mehr nicht die Aussagen der früheren Oppositions-SPD widerspiegelt?

Staatsminister/AA Roth, MdB: Ein Koalitionsprogramm ist ein Kompromissprogramm und ich beziehe mich in meinen Aussagen ausdrücklich auf den Koalitionsvertrag: Der gilt.

Wagner: Können Außenminister Steinmeier und auch Sie als Staatsminister jetzt sozialdemokratische Akzente in der Außenpolitik setzen? Wie setzen Sie sich vom Vorgänger Westerwelle ab?

Staatsminister/AA Roth, MdB: Wenn Sie sich hier die ersten Wochen im Auswärtigen Amt anschauen, dürften eine Fülle von Akzentverschiebungen und deutliche Hinweise auf einen Politikwechsel erkennbar sein. Das Auswärtige Amt treibt die deutsche Außen- und Europapolitik aktiv voran und das im Dialog auf Augenhöhe mit unseren Partnern. Die deutsch-französischen Beziehungen sind so gut wie schon lange nicht mehr. Das eröffnet die Chance, Europa insgesamt voranzubringen. Und wir haben gerade die sozialen Themen wieder auf die europäische Tagesordnung gesetzt. Die Chancen wollen wir jetzt nutzen und wir laden auch die Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Union dazu ein. Ich habe den Eindruck: Das kommt gut an.

Wagner: Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut, dann fasse ich etwas verkürzt, aber vielleicht dennoch zutreffend zusammen: Frau Merkels Handschrift ist 1:1 enthalten, was die Frage der Europolitik angeht. Wenn Sie jetzt sagen: Wir als SPD bringen mit BM Steinmeier jetzt die soziale Frage wieder aufs Tapet, dann muss man doch jetzt vielleicht auch Folgendes erkennen: In vier Jahren hat die Regierung vielleicht eine gute Europolitik gemacht, bei der sich die SPD tatkräftig miteingebracht hat. Aber am Ende hilft es vielleicht doch wieder nur der Kanzlerin und sie erntet beim Wähler die Lorbeeren. Haben Sie vielleicht ein wenig Angst, dass man Ihre Erfolge der Kanzlerin zurechnen könnte?

Staatsminister/AA Roth, MdB: Bevor ich mir Gedanken darüber mache, wer für Erfolge verantwortlich gemacht wird, arbeite ich erst einmal kräftig für die Erfolge. Und eins ist klar: Der soziale und gesellschaftliche Zusammenhalt in Europa ist ein sozialdemokratisches Projekt und eine deutliche Akzentverschiebung. Jetzt geht’s in den nächsten Jahren darum, dass das für jene Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union auch spürbar wird, die sich derzeit als Verlierer des europäischen Integrationsprozesses und der Krisenpolitik empfinden.

Wagner: Können Sie die wichtigsten Schritte, die man für dieses Ziel angehen muss, nennen?

Staatsminister/AA Roth, MdB: Der erste und wichtigste Schritt ist es, die EU wieder als Gemeinschaft zu verankern, die ihre Werte nicht nur auf dem Papier hat, sondern sie auch konkret lebt und ausfüllt. Zweiter Punkt: Wir nehmen den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit von jungen Leuten entschieden auf und schaffen damit auch neues Vertrauen. Drittens: Wir arbeiten dafür, dass es neben einer Währungsunion zukünftig auch eine Wirtschaftsunion gibt, die verbindliche Ziele und Leitlinien für die Sozial-, Beschäftigungs-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik beinhaltet. Viertens: Wir werden den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Europäischen Union ausbauen. Fünftens: Europa soll gerade auch in außen- und sicherheitspolitischen Fragen stärker mit einer Stimme sprechen. Da sind gerade auch die neuen gemeinsamen Projekte von Deutschland und Frankreich eine große Chance.