Berlin, 15. Dezember 2010: Das sind Illusionen, das sind Hirngespinste!“ Es sind klare Worte, die Angela Merkel beim letzten Bundesparteitag der CDU für eine Jamaika-Koalition auf Bundesebene fand. Doch was im Bund seit Jahren von führenden Politikern immer wieder als Unfug abgetan wird, ist im Saarland seit nunmehr einem Jahr gelebte Realität: Kürzlich feierte die Koalition aus CDU, FDP und Grünen ihr einjähriges Bestehen. Aus der Sicht vieler Politiker und Bürger ist es offenbar eine politische Konstellation, die weniger als Liebesheirat, sondern vielmehr als Zweckehe auf Zeit betrachtet wird, um die Angelegenheiten des Landes zu regeln. Fragt man die Mütter und Väter dieser Koalition, so hört man dennoch viel Gutes über die bereits angeschobenen Projekte.

So nennt der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Markus Tressel, etwa die Abschaffung der Studiengebühren, das Reformieren des Saarforstes und die Einführung des Verbandsklagerechtes für Tierschutz als Beispiele. Außerdem habe man die verbindliche Schullaufbahnempfehlung abgeschafft, ein Kooperationsjahr eingeführt, ein Tariftreuegesetz erarbeitet. Tressels exemplarische Aufzählung soll zeigen, dass die Koalition trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Partner im vergangenen Jahr durchaus etwas erreicht, beziehungsweise auf den Weg gebracht hat.
Aber wie nimmt der Rest der Republik die Arbeit und den Erfolg beziehungsweise Misserfolg der „Jamaikaner“ im Saarland wahr? „Ja, da gibt es doch die ‚Schwampel‘. Keine Ahnung, wie das da läuft“, oder: „Hat der Ministerpräsident nicht neulich während einer Landtagssitzung Schach auf einem Tablet-Computer gespielt?“, lauten nicht selten die Antworten. Die letztzitierte Replik ist wohl auf die entsprechende Berichterstattung über den Vorfall in einigen überregionalen Medien zurückzuführen. Die Online-Ausgabe des „Spiegel“ unterstellte Müller in diesem Zusammenhang sogar ein sogenanntes „Boreout-Syndrom“ und zitiert den Saar-SPD-Chef Heiko Maas mit den Worten, Müller laufe im Land seit Monaten „als ‚Lustlos-Ministerpräsident‘ umher“. Und auch wenn der „Spiegel“ dem Einser-Juristen Müller im gleichen Artikel eine baldige Zukunft am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe prognostiziert, bleibt dessen Antwort an das Portal klarstellender Natur: „Ich bin Ministerpräsident des Saarlands und werde es bleiben.“ Alles andere seien „Spekulationen, die von interessierter Seite in die Welt gesetzt werden“.
Als bekannte Politiker des Saarlandes werden neben Müller ansonsten noch Oskar Lafontaine und die Linken-Abgeordnete Yvonne Ploetz genannt. In Bezug auf Ploetz formulierte die BILDZeitung Ende Januar 2010 übrigens die Beitrags-Überschrift: „Wird sie die neue Miss Bundestag?“
Etwaige konkrete Inhalte der schwarz-gelb-grünen Landespolitik kommen im übrigen Deutschland dagegen offenbar nicht an. Eine Stellungnahme zu landespolitischen Themen ist – zumindest spontan – weder von Journalisten, noch bei Politikern oder Unternehmern und Bürgern, die nicht aus dem Saarland stammen, zu bekommen. Fakt ist aber: So gut wie niemand der Befragten hält eine Übertragung der politischen Konstellation des Saarlandes auf die Bundesebene für möglich. Für Fabian Hüper, 35 Jahre alt und seit 17 Jahren Mitglied der SPD im Ortsverein Ronnenberg, wäre eine solche Übertragung „überhaupt nicht denkbar“: „Vor allem kann ich mir vorstellen, dass die Grünen in der Durchsetzung ihrer Interessen die größten Abstriche machen müssten“, sagt er und spielt damit unter anderem auf die Atompolitik der schwarz-gelben Bundesregierung an. Der Bundestagsabgeordnete Markus Tressel sieht dies ähnlich und geht sogar noch einen Schritt weiter: Aufgrund der Entscheidung über die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke hält er die Tür für eine Koalition auf Bundesebene für sehr fest zugeschlagen, zum jetzigen Zeitpunkt gar für zugemauert.
Auch Lena Strothmann, Bundestagsabgeordnete der CDU aus dem ostwestfälischen Bielefeld, hält nichts von einer Jamaika- oder Ampelkoalition auf Bundesebene: „Eine Zusammenarbeit mit den Grünen halte ich momentan wegen der großen Differenzen in Bezug auf die Castor-Diskussion und ‚Stuttgart 21‘ für unmöglich. Grüne Bundestagsabgeordnete haben sich während der parlamentarischen Debatte im Hause teilweise skandalös benommen. Sie haben nicht mehr sachlich diskutiert, sondern nur noch versucht, über unsachliche Zwischenrufe und unzählige Geschäftsordnungsanträge die Debatte zu verzögern.“ Harte Kritik an der Umweltpartei, welche eine Zusammenarbeit im Bund unmöglich erscheinen lässt.
Solch exorbitante Probleme, als dass sie mit jenen im Bundestag vergleichbar wären, gibt es bis dato auf der saarländischen Ebene nicht. Hier findet der politische Diskurs ganz anders statt. Und das, obgleich eine Zusammenarbeit mit mehreren Partnern naturgemäß immer eine Herausforderung darstellt. „Es ist grundsätzlich so, dass es immer schwieriger wird, einen politischen Konsens zu finden, wenn noch eine weitere Partei beteiligt ist. Nicht nur, wenn es um die vorgenannten Themen in Bezug auf die Grünen geht, sondern auch, wenn Haushaltsdebatten auf der Tagesordnung stehen“, sagt Lena Strothmann. Man wird sehen, inwieweit dies auch für die Jamaika-Koalition im saarländischen Landtag zutreffen wird. Aktuell sind erst zwanzig Prozent des Weges geschafft, satte 80 Prozent liegen noch vor der Landesregierung. Ob die übrigen Bundesländer dann verstärkt Notiz von der Landespolitik nehmen werden, bleibt offen.
Die Tatsache, dass das Saarland aktuell das einzige Bundesland mit einer Jamaika-Koalition ist, macht es jedenfalls attraktiv und auch interessant. Vielleicht sogar interessanter als andere Länder. Eventuell sorgt die Regierungskoalition auch dafür, dass die öffentliche Wahrnehmung außerhalb des Bundeslandes größer wird als bei Ländern wie etwa Schleswig-Holstein, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen. Stichprobenartige Befragungen bei Bürgern ergeben jedenfalls, dass politische Einschätzungen über die Arbeit der Regierungen dort noch rarer sind. Dass im Saarland „Jamaika“ regiert, war dagegen allen Befragten bekannt und bewusst. Aber wer regiert denn eigentlich gerade in Sachsen-Anhalt, Bremen oder Thüringen?

Frank M. Wagner
ET-Media, Berlin

Von EIC

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