Archive: November 3, 2012

Skandal! Wie ein Medienhype entsteht

Timoschenko, Wulff und die Nebeneinkünfte eines Kanzlerkandidaten: Wie entstehen eigentlich Skandale, und warum sind sie ganz plötzlich keine mehr? Hermann-Dieter Schröder vom Hans-Bredow-Institut in Hamburg hat dies wissenschaftlich untersucht.

Interview: Frank M. Wagner für die Agentur ET-Media (Berlin)

Herr Schröder, wie entsteht ein Medienhype wie im Fall Timoschenko, über den fast alle Medien lang und breit berichtet haben?

Schröder: Das Skandalisieren hat zunächst einmal drei Voraussetzungen: Das Thema, das skandalisiert wird, muss einen gewissen Neuigkeitswert haben, es muss relevant sein und darüber hinaus auch eine moralisierende Komponente enthalten. Diese moralisierende Komponente ist meistens eine Täuschung. Skandal bedeutet das Aufdecken einer  Täuschung in der Realitätskonstruktion. Die Täuschung wird dabei typischerweise von einem Amtsträger oder  einer Vertrauenspersonen begangen.

Können Sie dazu bitte ein Beispiel nennen?

Vertrauenspersonen sind beispielsweise Priester, die uns darüber hinwegtäuschen, dass es vorkommt, dass sie Kinder misshandeln – anstatt fürsorglich zu sein. Im Fall Timoschenko ist es so, dass es heißt: Die hat sich völlig falsch verhalten und deswegen greift der Rechtsstaat Ukraine jetzt mit einem rechtmäßigen Strafverfahren ein. Diese Realitätskonstruktion wurde insbesondere von den westlichen Medien massiv angegriffen, indem sie die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens gegen Timoschenko angezweifelt haben. Und da die staatichen Amtsträger beziehungsweise Vertrauenspersonen in der Ukraine diese Zweifel nicht plausibel entkräftet haben, kommt es zum Skandal.

Apropos „nicht entkräftet“: Zu diesem Stichwort fällt mir doch der Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff ein.

Genau, bei Wulff kommt allerdings noch erschwerend hinzu, dass er das Fehlverhalten auch noch ganz gezielt vertuscht und gar versucht hat, die öffentliche Berichterstattung zu verhindern.

Der neue Bundespräsident hat sich bei einem Thema, das ein Skandal hätte werden können, ganz anders verhalten.

Gauck  hat ja bereits zu Beginn seiner Amtszeit gesagt: „Naja, meine Partnerin und meine Ehefrau, das sind zwei unterschiedliche Personen, das sage ich Euch gleich“. Wenn Gauck das vertuscht hätte, dann hätte man aus dieser Tatsache ganz locker einen Skandal machen können. Dann wäre die Vertuschung sozusagen der Anlass und der Aufhänger für den Skandal gewesen. Das hätte einen netten Skandal mit der Schlagzeile „Der Bundespräsident lebt in Bigamie“ geben können. Der Knackpunkt an Skandalen ist die Täuschung, die dazu dient, ein moralisch zu verurteilendes Fehlverhalten zu verdecken. Wenn es den Medien dann gelingt, diese Täuschung anzugreifen, aufzudecken und zu entkräften, dann wird sie zum Skandal. Nach der Entlarvung ist dann allerdings auch irgendwann auch die Luft raus. Dann ist die Realitätskonstruktion so nicht mehr haltbar und dann ist es nicht mehr eine Frage der Öffentlichkeit, sondern die Situation nimmt ihren Lauf.  Das heißt, der Bundespräsident nimmt beispielsweise seinen Hut und tritt zurück.

Wie ist die Situation bei Julia Timoschenko?

Bei Julia Timoschenko ist es so, dass weiter sehr fragwürdig gehandelt wird. Aber die Öffentlichkeit sagt: „Okay, Eure Vertuschung ist geplatzt, aber leider können wir nichts ändern“. So wie wir auch über Nordkorea wissen, dass dort Vieles nicht rechtsstaatlich läuft. Aber leider können wir das auch nicht ändern.

Als herauskam, dass die Griechen ihre  Daten für die Aufnahme in den Euro damals manipuliert und Falschangaben gemacht haben, gab es einen kurzen Skandal, als dies herauskam. In der Folge hatte dies aber keine weiteren Auswirkungen. Die Täuschung war das Problem und die Enthüllung der Täuschung erzeugt den Skandal.

Dieser Skandal erhalten die Medien beispielsweise nicht weiter am Leben.

Naja, wer hat ein Interesse daran, einen Skandal am Leben zu erhalten? Es gibt natürlich ein Selbstinteresse der Medien nach dem Motto: „Wir haben etwas aufgedeckt, oder zumindest einen Verdacht geschürt, der die Aufmerksamkeit des Publikums bindet – denn das ist unser professionelles bzw. kommerzielles Eigeninteresse“. In einem solchen Fall muss man noch weitere inhaltliche Aspekte nachschieben, damit das Publikum annimmt, dass es noch mehr relevante Neuigkeiten erfahren wird.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn Wulff gleich zugegeben hätte, wie sich die Situation tatsächlich darstellt, dann wäre die Luft raus gewesen. Dann hätte man vielleicht trotzdem noch darüber nachdenken können, ob er als Präsident tragbar ist. Aber: Richtig untragbar ist er  erst durch sein Verhalten in der Krisenkommunikation geworden.

Und dieses Verhalten hat dann noch einmal weitere Medien zu noch intensiveren Recherchen und Berichten animiert. Wie wird ein Skandal eigentlich größer, was bringt immer mehr Medien dazu, auf den Zug aufzuspringen?

Das wissen Sie möglicherweise besser als ich…

…naja, mit den skandalträchtigen Boulevardthemen habe ich mich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren eher am Rande beschäftigt…

Relevanz und Neuigkeitswert sind das A und O. Es reicht nicht, dass jeder schon wusste, dass  in der Ukraine ein Missbrauch des staatlichen Apparates zu vermuten ist und Timoschenko im Gefängnis sitzt. Davon abgesehen müssen immer weitere Neuigkeiten hinzukommen. Das war zum Beispiel bei Wulff der Fall. Wir haben die Nachricht zunächst von einem Medium gehört, und dann hat eine andere Zeitung gesagt „wir wissen noch mehr dazu“. Es gab also quasi eine Gegenrealitätskonstruktion der Journalisten, die die täuschende Realitätskonstruktion des Präsidenten angegriffen hat. Dann kann ein Medium natürlich erklären, es gebe noch einen weiteren Aspekt, ein weiteres Indiz, noch mehr Zeugen usw. Diese Berichterstattung lohnt sich, solange gesellschaftlich noch nicht ausgehandelt ist, wie denn die Realität denn nun tatsächlich aussieht.

Bei Wulff ging es dann soweit, dass er zurückgetreten ist und gesagt hat: „Ich habe Fehler gemacht, aber ich war immer aufrichtig“.

(lächelt): Da haben Sie genau den Punkt erwischt: Genau das, was den Skandal zum Skandal macht, nämlich die Täuschung, hat er bestritten. Denn er war ja gerade nicht aufrichtig, wie er erklärt hat. Denn er hat sogar versucht, die Täuschung sogar mit Hilfe des Einflusses auf den Bild-Chefredakteur fortzusetzen.

In so einem Fall wie bei Wulff oder Timoschenko muss die Recherche schnell und gründlich erfolgen. Wie können kleinere Redaktionen diese Arbeit eigentlich leisten?

Zunächst einmal greifen diese auf das Material der Agenturen zurück. Zum anderen gibt es ja auch noch den Unterschied zwischen Nachricht und Kommentar. Die Nachricht muss behaupten, dass sie wahr ist. Der Kommentar muss das nicht. Der hat ganz offen die Funktion, Schlussfolgerungen zu ziehen, Bewertungen vorzunehmen etc. Allerdings haben wir bei den Nachrichten oft die Situation, dass sich die Medien opportune Zeugen heranholen. Dann hat der Journalist einen sachverständigen Zeugen und den kann er dann als Hilfsperson zur Realitätskonstruktion heranziehen. Insofern ist die daraus entstehende Realitätskonstruktion nicht mehr nur seine eigene, wie etwa beim Kommentar. Er kann die Aussagen des Zeugen oder auch Experten vielmehr in eine Nachricht kleiden. Journalisten zitieren dann oft „wohlinformierte Kreise“. Das ist der schwächste Ansatz, mit dem man dann einen Verdacht mittels anonymer Zeugen streut.

Alternativ kann man auch einen Zeugen aussuchen, der kompetent genug ist, ihn als „Fachmann“ darzustellen. So etwas kann ein Journalist in einem Skandal prima machen, denn man hat immer gute Chancen irgendjemanden zu finden, der entweder eine bestimmte Meinung bereits vertritt oder dem man sie zumindest in den Mund legen kann. Denn der Befragte hat ja auch ein Interesse an seiner Zitierung, nämlich die PR für sich selbst.

Wieso bringen kleinere Lokalmedien den Fall Timoschenko auf der Titelseite, obwohl er für das Verbreitungsgebiet der Zeitung gar nicht relevant ist?

Zunächst einmal gilt: Das Weltbild der Leser eines lokalen Mediums speist sich nicht nur aus den Geschehnissen im eigenen, lokalen Bereich. Zweitens: Wenn man über Skandale im Ausland berichtet, dann zeigt man, dass man Skandale überhaupt für berichtenswert hält. Wenn eine Zeitung keinen der Skandale, der sich außerhalb des  eigenen Tellerrandes ereignet, wahrnehmen würde, dann würde dem Medium auch keiner mehr glauben, dass es Skandale im eigenen Gebiet wahrnehmen würde. Als Zeitungsredaktion braucht man also Selektionskriterien, um einschätzen zu können, welche Ereignisse den Relevanzkriterien der Leser entsprechen. Für die Leser sind Skandale eben auch wichtig. Und wenn Medien es nicht schaffen, Vertuschungen der Realität durch Dritte (wie etwa Amtspersonen) aufzudecken, dann haben Sie ihre Funktion als vierte Gewalt verfehlt. Und wenn die Medien zu Hause gerade nichts aufzudecken haben, dann ist es nicht falsch, die Skandale, die anderenorts passieren, mitzunehmen. Wenn es in der Ukraine Skandale gibt, die größer sind, dann nehmen die Medien eben diese.

Nun hat es schon vor oder neben dem Fall Timoschenko auch andere Skandale in der Ukraine gegeben. Die Inhaftierung der Musikgruppe „Pussy Riots“ ist beispielsweise so ein Thema. Darüber hat aber kaum ein Medium berichtet und schon gar nicht in größerem Umfang. Hat die Fußball Europameisterschaft für die Skandalgeschichte Timoschenko also eine wichtige Rolle gespielt?

Davon kann man ausgehen, weil die EM ein Zeichen dafür war, dass es nicht abwegig ist, zu unterstellen, dass sich das Publikum mehr für die Ukraine als beispielsweise für die Mongolei interessiert. Für unser Bewusstsein ist die Ukraine eigentlich furchtbar weit weg, hat mit der EU oder Nato nichts zu tun, ist wirtschaftlich und militärisch für uns unwichtig. Das Land hatte ein Problem mit den Gaslieferungen aus Russland. Ansonsten gab es ja noch die Orange Revolution, die dann irgendwann wieder verschwunden ist. Die Ukraine ist also eigentlich ein Thema, das nicht so interessant ist. Vor diesem Hintergrund Dann ist ein politischer Skandal, der mit der Beschneidung von Menschenrechten zu tun hat, immerhin schonbemerkenswert. Interessanter vielleicht als irgendwelche Musikgruppen, die Schwierigkeiten haben.  Julia Timoschenko ist zudem ja auch noch prominenter als die Pussy Riots.  Medial gesehen wäre es natürlich noch besser gewesen, man hätte Udo Lindenberg verhaftet (lacht). Da hätten wir dann ja alle sofort aufgeschrien, weil unsere Relevanzkriterien hier nochmal ganz anders sind.

Trotzdem ist die Ukraine etwas mehr in unseren Aufmerksamkeitsfokus geraten. Dies hat dann aber nicht lange vorgehalten. Ich glaube, noch während der Europameisterschaft war das Thema „Was ist mit Timoschenko?“ relativ erledigt. Das hatte auch damit zu tun, dass man beim Stichwort „Ukraine“ vor allem an unsere Fußballer gedacht hat. Man kann die Berichterstattung über die EM zwar nicht monokausal zuordnen. Aber Sie haben Recht, dass hier ein Zusammenhang besteht.

Kann man es sich leisten, als Medium bei Titel-Themen wie Timoschenko gegen den Strom zu schwimmen und das Thema nicht auf den Titel zu bringen, sondern dort beispielsweise die Energiewende zu  setzen?

Ja, darauf kommt es nicht an, man hat ja noch die Seite 2. Ein Thema völlig zu vergraben ist jedoch durchaus ein Problem.

Kann man grundsätzlich einen Skandal bewusst erschaffen und dann auch entsprechend kontrollieren?

 

Erschaffen ja. Kontrollieren nein, weil man dann nicht mehr der einzige Spieler ist. Wenn man beispielsweise in einem großen Unternehmen arbeitet und weiß, dass es Fehlverhalten gibt, dann kann man einen Skandal erschaffen, indem man das als sogenannter „Whistleblower“ auf den Markt bringt. Man kann dabei an Medien geraten, die nicht gleich die ganze Wahrheit auf den Tisch legen wollen, sondern kleine Andeutungen säen und diese langsam steigern. Diese Medien warten dann das erste Dementi als Reaktion ab und erklären: „Wir wissen längst mehr“. Insofern kann man die Entwicklung eines Skandals steigern.

Als Zeitung kann man den Skandal allerdings nicht knotrollieren, da es zu viele andere Mitspieler, also andere Medien,  gibt. Als Whistleblower ist eine Kontrolle erst nicht möglich. Als Beschuldigter kann man einen Skandal nur in so weit kontrollieren, dass man sehr schnell das Handtuch wirft und sagt: „Ja, das war ein großer Fehler, den ich gemacht habe, soll nicht wieder vorkommen“, oder man sagt: „So schlimm ist es doch gar nicht“. Beides ist möglich. Es gilt: Ein Geständnis verkürzt die Lebensdauer eines Skandals. Das ist eindeutig. Im Fall zu Guttenberg hätte der Minister vielleicht auch 14 Tage früher zurücktreten oder die Realität eher einräumen und den Titel vorher zurückgeben sollen. Dann wäre der Skandal vielleicht unproblematisch geworden. Aber Sie sehen hier genau dasselbe Verhaltensmuster, das man auch bei vielen anderen Skandalen erkennt: Es wird viel zu lange versucht, die eigene Realitätskonstruktion aufrecht zu erhalten, anstatt zu sagen: „Ja, oh, da haben Sie mich erwischt.“ Punkt.

Gut angekommen: Interview mit Umweltminister Altmaier

Gut sechs Wochen nach seinem Amtsantritt als Umweltminister hat Peter Altmaier ein erstes Fazit gezogen. Im Interview mit Frank M. Wagner spricht er über das Ministeramt und die Umstände seiner Ernennung, die Energiewende und sein Leben als unverheirateter Mann.

Frank M. Wagner: Herr Minister, lassen Sie uns zunächst bitte noch einmal zum Anfang Ihrer noch jungen Karriere als Bundesumweltminister zurückgehen: Die Bundeskanzlerin lud an jenem Mittwoch überraschend ins Kanzleramt und verkündete: Röttgen geht, Altmaier kommt. Wann hat die Kanzlerin eigentlich Sie darüber informiert, dass Sie Minister werden? Hat Frau Merkel Sie direkt an dem Mittwoch angerufen?

Peter Altmaier: Ja, ich war auch überrascht. Ich hatte am Vorabend noch Gäste, und es ist morgens sehr spät geworden. Ich habe mit Vielem für den Tag gerechnet, aber damit wahrscheinlich am Wenigsten. Die Bundeskanzlerin hat mich nach ihrem letzten Gespräch mit Norbert Röttgen angerufen und insofern war mir dann klar, was auf mich zukommt. Ich hatte schon Respekt vor der neuen Aufgabe. Aber wenn man Politik macht, dann muss man auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.

Frank M. Wagner: Nun ist Herr Röttgen ja relativ „glanzlos“ aus dem Amt geschieden: Frau Merkel hat den Bundespräsidenten gebeten, ihn zu entlassen. Das ist ja ein Vorgang, den wir seit Rudolf Scharping nicht mehr erlebt haben. Daher gab es auch den Vorwurf, es sei von der Kanzlerin durchaus unchristlich gewesen, Herrn Röttgen auf diese Weise  in Anführungszeichen „rauszuwerfen“. Wie sehen Sie das, ist das unchristlich, passt dieses Verhalten zur CDU oder war dieser „Rauswurf“ einfach nötig?

Altmaier: Nein, es ist so, dass nach dem Grundgesetz allein der Bundeskanzler – in diesem Falle die Bundeskanzlerin – darüber entscheidet, wie das Kabinett zusammengesetzt ist. Und das hat einen guten Grund, weil nämlich der Bundeskanzler vor dem Parlament auch die Verantwortung für die Regierung trägt. Einzelne Minister können nicht gestürzt werden, nur der Bundekanzler kann durch ein Misstrauensvotum abgewählt werden. Und deshalb ist es so, dass jeder Bundekanzler frei darüber entscheidet, wer seinem Kabinett angehören soll und wer nicht. Das haben andere Kanzler auch schon gemacht, das hat zuletzt Gerhard Schröder gemacht. Und ich glaube, dass man diese Entscheidung der Bundeskanzlerin respektieren muss.

Frank M. Wagner: Das heißt, der Vorgang ist für Sie so in Ordnung?

Peter Altmaier: Ich hätte, wenn ich mit dieser Entscheidung ein grundsätzliches Problem gehabt hätte, meine Ernennung nicht angenommen.

Frank M. Wagner:  Sie sind ja Jurist und für diese gilt ja seit je her die Feststellung „Der Jurist kann sich überall sehr schnell einarbeiten“. Wie ist das in Ihrem neuen Ressort Umwelt und Naturschutz, wie schnell können Sie sich da einarbeiten?

Peter Altmaier: Ich bin ja relativ neu als Umweltminister, aber ich bin natürlich nicht neu in der Politik und ich habe in den letzten Jahren schon viele unterschiedliche Funktionen gehabt. Zum Schluss, als Parlamentarischer Geschäftsführer, musste ich mich mit allen Politikbereichen beschäftigen, ebenso wie der Fraktionsvorsitzende. Das hat mir sehr geholfen, mich in dem neuen Amt zurechtzufinden. Ich hab allerdings auch sofort die Ärmel aufgekrempelt und mich in die Arbeit gestürzt. Ich glaube, dass die Menschen ein Recht darauf haben, dass jeder Bundesminister vom ersten Tag an sprech- und arbeitsfähig ist. Das haben vor mir auch schon andere bewältigt, insofern finde ich das gar nicht so dramatisch. Und bisher ist mein Eindruck, dass meine Anstrengungen auch anerkannt werden.

Frank M. Wagner: Das kann ich sogar bestätigen. Ich habe Sie auf dem Kongress des Bundesverbandes der Energiewirtschaft begleitet und mit diversen Teilnehmern gesprochen. Diese Fachleute für das Thema Energiewende waren voll des Lobes und haben gesagt: „Der Altmaier hat frei von der Leber weg über 30 Minuten gesprochen und alles, was er gesagt hat, wies die für das Thema notwendige Tiefe auf“. Offenbar kamen Sie dort also sehr gut an. Gestern Nachmittag hatten Sie einige Vertreter des Koordinationskreises Asse II in Ihr Ministerium eingeladen und auch dort war das Feedback wieder positiv, es hieß: „Herr Altmaier ist gesprächsbereit, das ist gut“. Sie legen demnach also besonderen Wert auf inhaltliche Qualität und auch auf Sympathie?

Peter Altmaier: Nun, ich glaube, dass man als Minister langfristig nur Erfolg hat, wenn man drei Dinge vereinen kann. Das erste ist: Man muss selbstverständlich in der Sache drin sein und muss bereit sein, auch die Details zu bearbeiten und sich ein eigenes Bild von den Problemen machen. Zweitens: Man muss den Mut haben, bei wichtigen Fragen auch Entscheidungen zu treffen. Man darf sich vor schwierigen Problemen also nicht wegducken. Drittens: Politiker müssen ja immer auch mit Menschen umgehen. Deshalb glaube ich, dass es ganz wichtig ist, dass man einen Draht zu den Menschen findet. Das ist nicht sehr einfach, weil die meisten Bürger einen nur über Fernsehen und Zeitung erleben können. Und trotzdem habe ich immer versucht, meine eigene, unverwechselbare Persönlichkeit nicht zu verlieren, nicht zu verleugnen. Ich habe versucht, auf die Menschen zuzugehen, mit Ihnen zu reden und auch so zu reden, dass man es verstehen kann, wenn man sich nicht jeden Tag acht Stunden mit diesem Thema beschäftigt. Das sind aus meiner Sicht die drei grundlegenden Anforderungen und denen versuche ich gerecht zu werden.

Frank M. Wagner: Sie sagen, man müsse mit den Menschen reden. Das galt insbesondere auch für Ihren Besuch in der Asse.

Peter Altmaier: Ich glaube, dass es richtig war, dass ich meinen ersten größeren Besuch als Umweltminister in dem radioaktiv verseuchten Bergwerk Asse gemacht habe, weil es einer der größten Schandflecke ist, die der Mensch der Natur in Deutschland angetan hat. Dabei ist mir zu Gute gekommen, dass ich als Saarländer weiß, was Bergbau ist. Ich weiß auch, wie Bergleute denken und unter welch schwierigen Umständen sie arbeiten müssen. Das hat mir dann einen Zugang und einen Draht zu den Beschäftigten dort ermöglicht. Ich habe auch im Hinblick auf die Proteste gegen die Primsmulde Süd beim Bergwerk Ensdorf 15 Jahre lang erlebt, wie es ist, wenn Bürger sich nicht ernstgenommen und getäuscht fühlen. Das hat es mir ermöglicht, auf die Bürgerinitiativen zuzugehen. Darüber hinaus glaube ich, dass es mir gelungen ist, dort eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen, die Vertrauen entstehen lässt. Dieses Vertrauen will ich auch auf jeden Fall rechtfertigen und deshalb arbeiten wir jetzt mit Hochdruck daran. Wobei alle Beteiligten wissen, es wird viele, viele Jahre dauern, bevor die ersten Fässer aus der Asse herausgeholt werden können. Wenn es überhaupt noch Fässer sind. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass wir es in den meisten Fällen mit einer großen, amorphen Masse zu tun haben. Aber ich habe klar gemacht, wir werden den Beitrag leisten, den wir mit irdischen und menschlichen Mitteln irgendwie leisten können, um diesen Schandfleck zu beseitigen.

Frank M. Wagner: Wenn Sie von einer amorphen Masse sprechen, könnte es sich natürlich um ein Stadium handeln, das vielleicht schon lange irreversibel ist. Glauben Sie dennoch, dass man in einigen Jahrzehnten einen Erfolg verzeichnen kann?

Peter Altmaier:  Nun, wir haben in Deutschland  ja Gott sei Dank eine sehr hochentwickelte Bergbautechnik, da gehören wir weltweit zu den führenden Ländern. Wir haben ganz spezielle Maschinen und sind jetzt dabei, das alles im Hinblick auf die Besonderheiten dieses Salzbergwerks weiter zu entwickeln. Dafür gibt der Bund über die Jahre verteilt auch viel Geld aus. Deshalb glaube ich: Wenn es irgendwo ein Land gibt, wo man ein solches Problem lösen kann, dann ist es Deutschland. Ich weiß allerdings auch, dass das Bergwerk in einem sehr maroden Zustand ist, und dass mehrere andere Bergwerkschächte in der Nähe bereits abgesoffen sind. Und deshalb arbeiten wir unter sehr, sehr schwierigen Bedingungen.

Frank M. Wagner: Apropos „schwierige Bedingungen“: Lassen Sie uns bitte nochmal auf Ihre Zeit vor dem Startschuss zum Ministeramtes zurückkommen. Als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag waren Sie ja DER Strippenzieher schlechthin. Ich habe gelesen, Sie laden Parteifreunde nach Hause zum Essen ein und am Ende steht dann die Mehrheit, die man braucht. Können Sie jetzt als Umweltminister immer noch Menschen motivieren, ist Ihnen dies zeitlich überhaupt noch möglich?

Peter Altmaier: Ich habe bislang – ich bin ja erst rund fünf Wochen im Amt – noch niemanden nach Hause einladen können, weil ich manchmal einfach bis kurz vor Mitternacht im Büro bin oder mit Leuten und Verbänden rede, um bestimmte Entscheidungen vorzubereiten. Trotzdem will ich diesen Stil auch in Zukunft beibehalten, weil ich glaube, dass es gerade in der Politik wichtig ist, dass man menschliche Begegnungsmöglichkeiten schafft. Und da schmeckt ein Glas Bier in der eigenen Wohnung eben doch anders als irgendwo in einem Hinterzimmer. Deshalb will ich versuchen, mir diesen Freiraum wieder zu schaffen. Die erste Einladung, die ich jetzt wieder ausgesprochen habe, geht an meinen alten Juraprofessor aus Saarbrücken, der nach Berlin kommt, wo wir uns mit seinen ehemaligen Schülern dann in meiner Berliner Wohnung treffen werden.

Frank M. Wagner: Als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer haben Sie über die Jahre hinweg natürlich immer viele Dinge erklärt und gerechtfertigt. Sie waren es, der beispielsweise Sonnntagabend im Konrad-Adenauer-Haus stand und in einer Live-Schalte das Ergebnis der Landtagwahlen im Saarland oder in NRW erläutert hat. Jetzt will ich Sie doch mal prüfen, ob sie es noch können: Hat Frau Merkel bei den Verhandlungen auf dem Eurogipfel gestern Nacht in Brüssel verloren? Einige Zeitungen schreiben ja  genau Dieses.

Peter Altmaier: Angela Merkel kämpft seit zweieinhalb Jahren mit einem unglaublichen Einsatz für den Euro, aber auch für deutsche und europäische Interessen. Sie hat dabei riesige Probleme überwinden müssen. Die Krise ist sicherlich noch nicht beendet, aber ich persönlich glaube, dass Angela Merkel auf dem richtigen Weg ist. Und ich werde alles tun, damit sie Erfolg hat.

Frank M. Wagner: Das heißt, Sie hat gestern tatsächlich nicht mehr Zugeständnisse gemacht, als verabredet war?

Peter Altmaier: Nein, ich glaube, dass Angela Merkel gestern in allem, was Sie gemacht hat, richtig gehandelt hat. Ihr Vorgehen in Brüssel hat nicht nur gestern, sondern auch schon viele, viele Male davor dazu  beigetragen, dass der Euro als starke Währung überlebt hat und dass die Bundesrepublik Deutschland trotz der Krise in vielen Nachbarstaaten immer noch ein blühendes und prosperierendes Land  mit niedriger Arbeitslosigkeit und ordentlichem Wachstumszahlen ist. Insofern glaube ich, hat Angela Merkel bis jetzt alles richtig gemacht.

Frank M. Wagner: Sie verwenden häufig die Formulierung „meine Kanzlerin“, etwa, wenn Sie sagen: „Ich muss jetzt zu meiner Kanzlerin ins Schloss Meseberg“. Diese Formulierung lässt auf eine gewisse Vertrautheit schließen. Wie innig ist Ihr Verhältnis?

Peter Altmaier: Wir kennen uns schon sehr lange. Ich hatte vor rund zehn Jahren die Möglichkeit, ihr Justiziar zu sein, als sie Fraktionsvorsitzende war. Seither hat sie mich mehrfach mit Aufgaben betraut und ich hatte Gelegenheit, mit ihr zusammenzuarbeiten. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Angela Merkel ihr Amt als Bundeskanzlerin nicht nur sehr Ernst nimmt, sondern dass Sie auch mit viel Herzblut dahintersteht. Ich teile Ihre politischen Auffassungen.  Für mich ist es ganz wichtig, dass meine Arbeit auch dazu beiträgt, dass sie als Bundeskanzlerin weiter Erfolg hat.

Frank M. Wagner: Wie schaffen Sie sich zu Ihrer Arbeit eigentlich noch einen privaten Ausgleich, wenn Sie, wie neulich, in Rio unterwegs sind und auch in Berlin regelmäßig bis nachts arbeiten? Haben Sie eigentlich ein Privatleben?

Peter Altmaier: Ja, das will ich doch hoffen! Früher habe ich am Wochenende im Saarland stundenlang Rasen gemäht. Das geht derzeit gar nicht. In Berlin habe ich außerdem sehr gerne für Freunde gekocht. Ich hoffe, dass ich dazu vor allem in der sitzungsfreien Zeit hin und wieder Gelegenheit  habe. Ansonsten lese ich sehr gerne, vor allen Dingen auch Bücher, die 100 Jahre und älter sind. Das Hobby kann mir keiner nehmen, auch die Berufung zum Bundesumweltminister nicht. Sie können morgens beim Frühstück lesen oder abends beim Zubettgehen. Das bedeutet für mich immer auch so ein bisschen ein Eintauchen in eine fremde Welt und damit Abstand zu den Problemen des Tages.

Frank M. Wagner: Man liest immer über Sie, sie seien „ledig“. Damit ist das Privatleben meist schon abgehakt.  Haben Sie eine Beziehung, sind Sie verbandelt oder Ähnliches, wollen Sie dazu mal etwas sagen?

Peter Altmaier:  Ich bin ledig, das stimmt, das wissen auch alle. Ich lebe auch in keiner festen Beziehung, sondern ich investiere meine Arbeitskraft in meine Beziehung zu den Menschen zu Hause im Wahlkreis und als Minister zu denen in ganz Deutschland. Das füllt mich ausgesprochen aus und das macht mir auch wunderbar Spaß.

Frank M. Wagner: Das heißt, Ihnen fehlt keine Frau beziehungsweise kein Mann als feste Beziehung?

Peter Altmaier: Also, wenn ich verheiratet wäre, dann würde ich wahrscheinlich der Frau fehlen. Das bedeutet, dass einem manchmal dann auch so eine Situation, die im Laufe von vielen Jahren entstanden ist, ganz gut zu pass kommt – wenn es nämlich darum geht, sich voll und ganz einer Sache zu verschreiben.

Frank M. Wagner: Sie sind also mit der Situation so, wie sie jetzt ist, auch glücklich?

Peter Altmaier: Ja.

HINWEIS: Das Interview datiert vom Freitag, dem 29. Juni 2012. Einem gleichsam historischen Tag, an dessen Abend die Abstimmung über den Fiskaltpakt und den Euro-Rettungsschirm ESM anstand.