„Wir schützen keine Steilufer“

Featured Mrz 3, 2022

Es ist längst eine Tatsache: Die Erderwärmung wird teils drastische Konsequenzen haben – nicht nur an Ahr und Erft, sondern auch an den deutschen Küsten. Denn der Meeresspiegelanstieg ist ein großes Problem für den Küstenschutz: Legt man den derzeitigen Stand im Bereich der Hochwasserschutzmaßnahmen zugrunde, würde bekannte Ostsee-Urlaubsorte bei einem 100- oder 200-jährlichen Hochwasser massive Problem bekommen. Auch für das Brodtener Steilufer in Schleswig-Holstein sieht es nicht gut aus.

Frank M. Wagner

Es ist noch nicht so lange her, als Anfang Februar 2021 ein kräftiger Ostwind der Stärke sieben bis neun Beaufort den Pegelstand in Travemünde schnell ansteigen ließ. Die Polizei musste die Bürger auffordern, ihre Autos aus der Gefahrenzone zu bringen. Und auch Mitte Oktober 2020 wurden Teile der Promenade in Travemünde überflutet, das Hochwasser der Trave stieg dort und in Lübeck auf gut 6,26 Meter. Der normale Wasserstand liegt laut Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt bei fünf Metern.

„Viel Sand, der bei Hochwasser in Richtung der winzig wirkenden Spaziergänger unten rechts
abgetragen werden könnte“: Das Brodtener Steilufer bei Lübeck © Foto: Frank M. Wagner

Das Problem: In Travemünde gibt es keine technischen Hochwasserschutzeinrichtungen, wie der Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN) in Husum mitteilt. In den sogenannten „Hochwassergefahrenkarten“ [siehe Grafik anbei oder: zebis.landsh.de/webauswertung/] sind daher sogenannte „Betroffenheiten“ für ein 200-jährliches Hochwasser zu erkennen.

Einer, der bereits jetzt schon die eine oder andere Hochwasserbetroffenheit in Travemünde erlebt hat, ist Andreas Mitgutsch, Inhaber des Lübecker Teekontors in der Alten Vogtei in der Vorderreihe. „Das Wasser stand hier zuletzt bis zur obersten Treppenstufe“, sagt er und deutet auf den Eingangsbereich seines Kontors [siehe Foto]. Aktuell bemüht Mitgutsch sich um eine Elementarschadenversicherung und zeigt sich durchaus überrascht, dass der Abschluss einer solchen Versicherung in dieser Lage tatsächlich möglich ist. Zwei Gedenksteine in der Außenmauer des Teekontors markieren den Hochwasserstand aus dem Jahre 1625 und vom bislang schwersten bekannten Ostseesturmhochwasser von 1872. Die aktuell draußen aufgebauten Tische sind etwas niedriger als die Markierungen, das darauf servierte Essen wäre damals also weggeschwemmt worden. Und die Gefahr für noch mehr Hochwasser, das in Zukunft in die Vorderreihe strömt, ist hoch.

Lübeck wird ähnlich wie Kiel und Eckernförde in den kommenden Jahren die eine oder andere Hochwasserschutzmaßnahme vornehmen müssen, um sich auf den steigenden Meeresspiegel einzustellen. Auch der Priwall ist nicht durch eine Hochwasserschutzanlage geschützt. „Das heißt“, sagt Dr. Thomas Hirschhäuser vom LKN, „hier werden die niedrigeren Flächen dann auch überflutet. Randlich ist dementsprechend auch Bebauung betroffen.“ Also eine ähnliche Situation wie bei der Alten Vogtei in der Vorderreihe.

Andreas Mitgutsch, Inhaber des Lübecker Teekontors in der Vorderreihe zeigt auf die oberste Stufe seines Eingangs, bis zu der das Wasser zuletzt gekommen ist.“ © Foto: Frank M. Wagner

Was tut Lübeck?

Dass zum Schutz der Menschen, Gebäude, der Promenade und der Straßen etwas getan werden muss, weiß man natürlich auch in der Hansestadt Lübeck. Bislang gibt es in Travemünde „Objektschutzmaßnahmen“, also mobile Schutzmaßnahmen an Gebäuden entlang der Vorderreihe. Die Pressesprecherin der Hansestadt Lübeck, Nicole Dorel erklärt die derzeitige Situation an der Ostsee und in der Stadt: „Durch den Trichtereffekt der sich von Travemünde in Richtung Innenstadt verengenden Trave sind die Schwankungen des Wasserstands in der Altstadt meist größer als direkt an der Küste. Daher ist in der Lübecker Altstadt regelmäßig die Überflutung von Straßen zu beobachten. Die Menschen sorgen dort wie auch in Travemünde mit Hilfe von Dammbalkenverschlüssen vor und sichern so ihre Häuser.“

Bürger über Überflutungsrisiken informieren

Diese individuelle Vorsorge bei Überflutungsrisiken sei gesetzlich verankert. Da jedoch viele Bürgerinnen und Bürger nicht darum wüssten, ist die Hansestadt Lübeck seit Herbst 2021 Praxispartner im Forschungsprojekt „Komm.Flut.Ost“. Dorel: „Ziel des Projektes ist es, eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln, um die Bürgerinnen und Bürger über die Überflutungsrisiken zu informieren und Anpassungsmöglichkeiten aufzuzeigen: Dies soll durch öffentlichkeitswirksame Informationsveranstaltungen ergänzt werden, die wahrscheinlich in 2022 starten werden.

Klimaanpassungskonzept der Lübecker Bürgerschaft

Doch die individuelle Vorsorge kann natürlich nur einen kleinen Teil der Maßnahmen darstellen, die im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels und den daraus resultierenden steigenden Meeresspiegel in Travemünde wichtig sind. Dementsprechend ist die Hansestadt Lübeck seit Sommer 2021 Praxispartner im Forschungsprojekt „SEASCApe II“. Darin untersuchen die Forschungspartner der Universitäten Kiel und Rostock sowie des „Global Climate Forums“ in Berlin anhand von Lübeck die zukünftigen Hochwasserrisiken und möglichen Anpassungsmaßnahmen. Dorel: „Die Teilnahme an dem Forschungsprojekt ist ein wichtiger Baustein zur Umsetzung der Maßnahme M 11 „Gefahren durch Ostseehochwasser für bebaute Bereiche analysieren und eine Anpassungsstrategie entwickeln“, die im Klimaanpassungskonzept definiert wurde“. Die Lübecker Bürgerschaft hat dieses Anpassungskonzept im September 2020 beschlossen. Heißt: Die aktuelle Situation und die notwendigen Maßnahmen haben Politik und Verwaltung also durchaus im Blick.

Gefahr für das Brodtener Steilufer

Doch zurück an den Ostseestrand nach Travemünde beziehungsweise etwas nördlich davon: an das Brodtener Steilufer. Dieses ist durch den Klimawandel und den dadurch bedingten Anstieg des Meeresspiegels besonders gefährdet. Die Lage ist hier ganz anders als in den bekannten Touristenhochburgen. Für diese gilt grundsätzlich: Timmendorfer Strand, Scharbeutz, Grömitz und Kellenhusen sind durch qualitativ hochwertige Landesschutzdeiche bzw. vergleichbare Maßnahmen gut geschützt und halten auch ein 200-jährliches Hochwasser aus. Dieses liegt heute bei ungefähr 2,50 Meter über dem mittleren Meeresspiegel.

Aber was passiert, wenn das Hochwasser der Ostsee ein Steilufer ins Visier nimmt? „Wenn die Wellen dort für Erosionen sorgen und das Steilufer erodieren, dann ist es weg und wird zur Sandquelle für angrenzende Gebiete. Das erleben wir beispielsweise am Brodtener Ufer: Der Sand, der dort erodiert wird, gelangt im Anschluss Richtung Timmendorfer Strand und nährt dort die Strände. Dementsprechend schützen wir keine Steilufer, sondern nehmen die Erosion in diesem Bereich hin“, gibt Thomas Hirschhäuser zu bedenken.

Der LKN will Bebauungen entlang von Steilufern und auch aus Hochwasserrisikogebieten heraushalten, um an diesen Orten nachhaltig zu sein. Es gehe darum, in denjenigen Bereichen keine Werte anzuhäufen, von denen man wisse, dass sie in Zukunft nicht mehr wie jetzt existieren. Dementsprechend wird man beispielsweise bei touristischer Infrastruktur, darunter auch auch Cafés mit Meerblick, konsequent darauf achten müssen, wie ortsfest oder mobil diese Anlagen sind. Die sogenannte „hochwasserangepasste Bauweise“ wird immer wichtiger.

Wer sich selbst ein detailliertes Bild der Situation für seinen Wohnort in der Lübecker Bucht für die nächsten 20, 100 oder 200 Jahre machen möchte, der kann dies über die entsprechenden Hochwassergefahrenkarten des Landes Schleswig-Holstein tun: zebis.landsh.de/webauswertung/  Daneben erlaubt das „Coastal Risk Screening Tool“ des Anbieters Climate Central den Nutzern zu überprüfen, welche Auswirkungen ein globaler Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius oder sogar von 2,5 Grad Celsius auf die Küsten der Region hierzulande und im Rest der Welt hat: https://coastal.climatecentral.org/map/10/9.9806/54.4652/?theme=warming&map_type=multicentury_slr_comparison&basemap=roadmap&elevation_model=best_available&lockin_model=levermann_2013&refresh=true&temperature_unit=C&warming_comparison=%5B%221.5%22%2C%222.5%22%5D

EIC