Der Klimawandel ist nicht erst mit dem Einzug der Grünen in die Bundesregierung zum Topthema der politischen Agenda avanciert. Doch was bedeutet der vom Weltklimarat IPCC berechnete mittlere Anstieg des Meeresspeigels von 84 cm konkret für bekannte Küstenorte wie Travemünde und Timmendorfer Strand – und wie wird die Ostseeküste künftig gegen Hochwasser geschützt sein?
„Schleswig-Holstein, meerumschlungen“, heißt es in der Hymne des nördlichsten deutschen Bundeslandes. In Zeiten des Klimawandels geht die geographische Besonderheit der uns umgebenden Nord- und Ostsee natürlich mit einer gehörigen Portion Verantwortung einher. Dementsprechend hat das Land vor über 13 Jahren den „Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz“ (LKN) eingerichtet: Dessen Motto lautet: „Wir schützen Schleswig-Holsteins Küsten“. Konkret werden in der Behörde, die zum Umweltministerium gehört, Planungsgrundlagen für den Küstenschutz erarbeitet. Die dabei verwendeten sogenannten „Hochwassergefahrenkarten“ geben Aufschluss darüber, wie hart ein 20-, 100- oder gar 200-jährliches Hochwasser unter anderem die Lübecker Bucht treffen wird.
Lage in Scharbeutz und Timmendorfer Strand, Grömitz und Kellenhusen
„Im Bereich Scharbeutz und Timmendorfer Strand ist ja vor einigen Jahren eine Hochwasserschutzmauer in die Düne gebaut worden [siehe Foto ]beziehungsweise es wurde Sand darüber geschüttet, vereinfacht ausgedrückt“, sagt Dr. Thomas Hirschhäuser, Leiter des Geschäftsbereichs Gewässerkunde & Vorarbeiten Küstenschutz beim LKN. Darin enthalten sind Verschlüsse, sogenannte Stöpen, die ab einem bestimmten Wasserstand dann geschlossen werden können. Diese Anlagen bieten einen ausreichenden Schutz. „In unseren Hochwassergefahrenkarten ist gekennzeichnet, dass das Schutzniveau mit dem eines Landesschutzdeiches vergleichbar ist. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Klosterseeniederung zwischen Grömitz und Kellenhusen.“
Der erwähnte „Landessschutzdeich“ bietet den besten Schutz vor einer ansteigenden Ostsee, die auf das Festland drängt. Denn dieser Deich, beziehungsweise auch andere Schutzanlagen auf dessen Niveau, halten einem 200-jährlichen Hochwasser stand. Und das liegt heute ungefähr bei 2,50 Meter über dem mittleren Meeresspiegel. Für das Jahr 2100 wäre hierzu noch der mittlere Meeresspiegelanstieg bis dahin zu addieren.
Das heißt: Flächen, die hinter einem Landesschutzdeich oder einer in der Wirkung vergleichbaren Hochwasserschutzmauer liegen, sind vor einer Überschwemmung sicher. Die in Diskussionen vielfach zitierten Horrorszenarien bleiben also dementsprechend aus: Hier wird kein Strandrestaurant fortschwimmen, kein Spielplatz ins Meer abgleiten, kein Haus plötzlich direkt an der Ostsee stehen, obwohl es vorher noch nicht einmal in Sichtweite lag. Klar ist allerdings auch: Gegenstände, die sich vor einem Landesschutzdeich befinden, könnte es hart treffen. Kommt das Extremhochwasser während der Saison, dürften die ungeschützten Strandkörbe beschädigt werden oder gar in der Ostsee verschwinden. Einen ganz kleinen Vorgeschmack dazu gab es unter anderem am 17. September 2020, als etwa in Scharbeutz zahlreiche Strandkörbe aufgrund von Hochwasser fast bis zur Sitzfläche in den Strand einsanken, siehe Foto.
Damit die Flächen hinter den Deichen gesichert bleiben, kommt es darauf an, dass die Sicherungsanlagen in gutem Zustand sind oder wo nötig ausgebessert werden. Im kommenden Jahr erscheint der „Generalplan Küstenschutz 2022“. Dazu wurden alle Landesschutzdeiche einer genauen Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Auch die Regionaldeiche, die kleinere oder landwirtschaftlich genutzte Flächen schützen und für die zumeist die Wasser- und Bodenverbände verantwortlich sind, wurden begutachtet.
„Wir prüfen dabei, ob es bei einem 200-jährlichen Hochwasser mit entsprechendem Sturm und Wellen zu einer Überströmung des Deiches kommt und ob dieser dann von hinten erodiert“, erläutert Hirschhäuser die Definition für das Versagen eines Deiches. „Wird dieses Kriterium erfüllt, sieht der LKN für Deiche in Landeszuständigkeit Verstärkungsbedarf, der dann im Generalplan festgehalten wird. Hier werden wir in den nächsten Jahren auch tätig werden.“ Für Regionaldeiche müssen die zuständigen Wasser- und Bodenverbände eigenständig entscheiden, welche Konsequenzen sie aus dem Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung ziehen.
Fehmarn
Auf Fehmarn ist das Land Schleswig-Holstein ausnahmsweise auch für die Regionaldeiche zuständig. Dort, wo auf der Halbinsel Siedlungen geschützt werden, ist ein ausreichender Hochwasserschutz vorhanden. „Grundsätzlich gilt: Wo das Land zuständig ist, haben wir die Situation sehr genau im Blick“, betont Wissenschaftler Thomas Hirschhäuser.
Die kommenden Jahrzehnte
Die Schutzwirkung ist im Falle der Landesschutzdeiche aktuell also entweder vorhanden oder wird in Einzelfällen vom LKN jeweils wieder hergestellt. Und die Behörde kalkuliert bereits jetzt für künftige Generationen, die die Deiche gegebenenfalls weiter aufstocken müssen. Es gilt das Konzept des „Klimadeichs“. Bedeutet: Bei einer Deichverstärkungsmaßnahme erhöht der LKN den Deich nicht nur, sondern gestaltet auch dessen Krone breiter. Hintergrund ist, dass heute noch nicht exakt abschätzbar ist, wie groß der Meeresspielanstieg später tatsächlich sein wird. Stellt man in den kommenden Jahrzehnten fest, dass er stärker ausfällt, als man dies heute annimmt, können spätere Generationen einfach eine Kappe auf die verbreiterte Deichkrone aufsetzen. Dementsprechend muss man den Deich heute noch nicht höher bauen als nach dem aktuellen Wissensstand notwendig, sondern vielmehr die Grundlagen dafür bereiten, dass er in Zukunft aufgestockt werden kann.
Wer muss für den notwendigen Schutz sorgen?
Grundsätzlich gilt: Küstenhochwasserschutz ist Aufgabe derjenigen, die einen Vorteil davon haben. An der Ostseeküste gilt allerdings auch die Ausnahme: Da, wo größere Niederungen betroffen sind, etwa bei der Klosterseeniederung oder nördlich von Kiel die Probstei, hat das Land die Verantwortung übernommen. Ansonsten sind neben den Wasser- und Bodenverbänden für die kleineren und landwirtschaftlich genutzten Flächen die Kommunen wie Lübeck, Kiel, Eckernförde, und Flensburg jeweils für ihre urbanen Bereiche zuständig. Touristische geprägten Orte wie Timmendorfer Strand und Scharbeutz zeichnen für ihre jeweiligen Gebiete verantwortlich.
Wer soll das bezahlen?
Die Ortschaften stehen mit der Finanzierungsfrage nicht allein da. Es gibt eine hohe Förderquote des Landes Schleswig-Holstein, den Löwenanteil braucht die kommunale Kasse also nicht zu leisten. Auch Co-Finanzierungsmittel von Bund und EU werden für die Aufgabe mitgenutzt. Finanziell unterstützt wird dabei aber nur, was funktional notwendig ist. Wenn es dann auch noch hübsch aussehen soll, dann sind das Kosten, die auf die jeweilige Gemeinde zukommen. Ein Beispiel dafür wäre etwa eine attraktive Hochwasserschutzmauer aus Glas.
Wer sich selbst ein detailliertes Bild der Situation für seinen Wohnort in der Lübecker Bucht für die nächsten 20, 100 oder 200 Jahre machen möchte, der kann dies über die entsprechenden Hochwassergefahrenkarten des Landes Schleswig-Holstein tun: zebis.landsh.de/webauswertung/ Daneben erlaubt das „Coastal Risk Screening Tool“ des Anbieters Climate Central den Nutzern zu überprüfen, welche Auswirkungen ein globaler Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius oder sogar von 2,5 Grad Celsius auf die Küsten der Region hierzulande und im Rest der Welt hat:
https://coastal.climatecentral.org/
Frank M. Wagner